Rote Spur
meine Stiefkinder.« Er hatte das Wort noch nie leiden können.
»Sie ist sehr schön.«
»Ja, das finde ich auch.«
Ein unbehagliches Schweigen trat ein. Er klappte den Lederumschlag vor ihm auf, in dem sich ein Stift und ein DIN-A4-Schreibblock befanden. Oben auf jeder Seite stand in silbernen Lettern
Jack Fischer en Genote
, blass, wie ein Wasserzeichen. Er zückte den Stift und klickte die Mine heraus.
Sie stellte die Handtasche auf den Schoß, öffnete sie und holte ein Foto und ein Notizbuch heraus. Sie reichte ihm das Bild. Es zeigte in Postkartengröße und satten Farben einen Mann in den Dreißigern. Die hellen Haare militärisch kurz geschnitten, eine Grillzange in der Hand, nackter Oberkörper, lachend. Ein offenes Jungengesicht. Er hatte etwas Sorgloses an sich, wie jemand, der den Fausthieben des Lebens bisher meistens ausgewichen war.
»Das ist Danie«, sagte sie.
Sie wollte mit dem Tag beginnen, an dem er verschwunden war, aber Joubert bat sie, ganz von vorn anzufangen. »Ich brauche sämtliche Hintergrunddetails, die ich bekommen kann.«
Sie nickte entschlossen. »Ich verstehe.«
Und dann erzählte sie, mit einem Unterton unterdrückter Nostalgie in der Stimme.
Sie hatte Danie Flint vor sieben Jahren kennengelernt, als sie sechs- und er achtundzwanzig war, auf einem Fest bei gemeinsamen Freunden in Bellville. Es war keine Liebe auf den ersten |457| Blick gewesen, aber eine gewisse Sympathie, eine natürliche Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Sie mochte seinen Sinn für Humor, die Art, wie er lachte, seinen Respekt ihr gegenüber von Anfang an. »Er war so rücksichtsvoll.« Mit einem leichten, sehnsüchtigen Lächeln fuhr sie fort: »Sein Hemd hing ihm immer aus der Hose, auch wenn er es hundert Mal am Tag hineinsteckte.« Joubert fiel auf, dass sie in der Vergangenheitsform sprach und dachte bei sich, dass es besser so war. Es bedeutete, dass sie realistisch war und bereits alle Möglichkeiten durchgespielt hatte in diesem Land, in dem Verschwinden und Tod meist Hand in Hand gingen.
Flint war Routenplaner für die Atlantic Bus Company, das Riesenunternehmen, dessen Busse mit dem hellgelben ABC auf marineblauem Grund mittlerweile auf den Straßen der Halbinsel nervtötend allgegenwärtig geworden waren. Er war dabei, durch Fernstudium ein Diplom für Personenverkehr an der Universität von Johannesburg zu erwerben, er war fleißig, klug und ehrgeizig.
Sie hatte damals Solarheizanlagen für Swimmingpools verkauft, in dem Wissen, dass es nur vorübergehend war, nur eine Lehrzeit für ihr eigenes Unternehmen.
Eine Vorstadtliebe, weder aufregend noch sensationell. Dreizehn Monate nach ihrer ersten Begegnung hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht, und sie hatte voller Überzeugung ja gesagt.
Nach der Hochzeit hatten sie ein Stadthaus in Table View gekauft. Später, nach Danies Beförderung zum Gebietsleiter bei ABC, hatten sie sich ein kleines Vierzimmerhaus in Parklands ausgesucht. Kinder, so hatten sie einvernehmlich beschlossen, würden warten müssen. Er wollte studieren, sie hegte den Traum von einer eigenen Firma. »Vor achtzehn Monaten habe ich mich in Montague Gardens selbständig gemacht. Wir produzieren Swimmingpoolabdeckungen und Blattkescher aus Plastik«, erklärte sie, holte eine Visitenkarte aus ihrer Handtasche und reichte sie Joubert. Die Silhouette einer Hut tragenden |458| schwarzen Spiongestalt zeichnete sich über einem nierenförmigen blauen Schwimmbeckensymbol ab. »Undercover« lautete der Name der Firma.
»Mein Geschäft begann gerade zu laufen, da setzte die Wirtschaftskrise ein. Aber Danie hat mich mit seinem Gehalt unterstützt. Wir haben so hart gearbeitet … Aber dann, am 25. November, ist Danie verschwunden. Er war den ganzen Tag bei der Arbeit. So gegen halb vier haben wir miteinander telefoniert. Er sagte, er wolle noch ins Training, nachdem er um fünf Feierabend gemacht habe. Normalerweise kam er dann gegen halb sieben nach Hause, er versuchte, vier Mal die Woche ins Fitnessstudio zu gehen. Ich habe sein Auto dort auf dem Parkplatz gefunden, an diesem Abend um elf Uhr, aber er war einfach weg …«
»Mevrou Flint, ich habe …«
»Tanja«, sagte sie.
Joubert nickte. »Erzählen Sie mir alles, woran Sie sich erinnern können.«
Sie schlug ihr Notizbuch auf. »Ich habe alles aufgeschrieben«, sagte sie mit großem Ernst.
»Sehr gut«, ermunterte sie Joubert.
Sie schaute in ihre Notizen. »Ich bin erst um Viertel vor sechs aus der
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