Rote Spur
Verbrechens vor allem im West-Kap betrachtet werden.
Positive Diskriminierung, ein hoher Prozentsatz von Entlassungen und Frühpensionierungen führender Polizeioffiziere, Fortbildung und Neuentwicklung, Strukturveränderungen und Versetzungen zogen nicht nur einen massiven Verlust an erfahrenen Mitarbeitern nach sich, sondern auch einen Verlust an Vertrauen zwischen den Mitgliedern und eine ernsthafte Demoralisierung innerhalb der gesamten Behörde. Innere Konflikte, Frustration, Widersetzlichkeit und politische Intrigen trugen unter anderem dazu bei, dass die SAPD das organisierte Verbrechen vorübergehend aus den Augen verlor.
Damals wurde auch eine Strafprozessgesetzgebung implementiert, die auf modernen, humanen und international anerkannten Menschenrechten beruhte und die Exekutive dazu zwang, die Rechte Verdächtiger zu respektieren, die Verhaftungsmethoden zu ändern und Verhörstrategien gründlich zu reformieren (was unter anderem einen völligen Verzicht auf die sogenannten Geständnistechniken – oder besser: physischen Einschüchterungen – der Apartheidsära bedeutete).
Die systematische Bekämpfung des organisierten Verbrechens blieb dabei weitestgehend auf der Strecke und musste von Grund auf neu etabliert werden.
Die Verfolgung des organisierten Verbrechens blieb eine Zeitlang |89| marginalisiert, und die Banden nutzten diese Phase der Nichteinmischung effektiv aus.
• Pagad, CORE und POCA
Während die Polizei vorübergehend in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt wurde, flammte der bürgerliche Widerstand gegen das Verbrechen in den farbigen Gebieten auf. Die bedeutendste Gruppierung war Pagad (People Against Gangsterism and Drugs – Bürger gegen Kriminalität und Drogen), eine muslimische Bürgerwehr, die ab 1996 Bandenbosse auf der Kaapse Vlakte vehement bekämpfte.
Aufmärsche vor Drogenhäusern, Schießereien, Überfälle und die Eliminierung von Bandenbossen pfuschten den bestehenden kriminellen Vereinigungen ins Handwerk, zerstörten Befehlsstrukturen und senkten die Verbrechensquote erheblich. Für die Vlaktebanden bedeutete dies, dass nur die Stärksten überlebten. Die Reaktion der verbleibenden Bandenbosse bestand in der Gründung des Community Outreach Forum oder CORE. Der Name war absichtlich zynisch gewählt, da die Gruppe alles andere als sozial engagiert war. Es ging um einen Zusammenschluss, eine Konsolidierung und – zum ersten Mal in der Geschichte – eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit der einzelnen Gruppierungen des organisierten Verbrechens. Die Bosse hatten ein kleines, effektiv arbeitendes Komitee ins Leben gerufen, das innerhalb weniger Monate Drogen, Geldwäsche, Schmuggel und internationale Zusammenarbeit straff organisierte und auf ein neues Niveau der Professionalität und Geheimhaltung hob.
Eine weitere Folge des Auftretens von Pagad bestand darin, dass die führenden Mitglieder der farbigen Banden in die traditionell weißen Wohngebiete umzogen und ihre Aktivitäten dorthin ausweiteten. Unter anderem für Kokain und
Dagga
erschlossen sie dadurch einen neuen Absatzmarkt. Der letzte Faktor war die Verabschiedung der POCA-Gesetze(Prevention of Organised Crime Act), die dem Staat |90| zum Beispiel das Recht verliehen, die Profite der Bandenbosse und ihrer Mitläufer zu beschlagnahmen.
• Die Restless Ravens
Die Restless Ravens waren eine kleine, aber äußerst effektive Straßenbande, die in den frühen Neunzigern hauptsächlich in Manenberg, Bonteheuwel, Bishop Lavis, Heideveld, Surrey und Primrose Park aktiv war.
Anführer war der skrupellose, ehrgeizige und hochintelligente Willem (Willy) »Tweetybird« de la Cruz (53), der damals bereits zwei Gefängnisstrafen wegen bewaffneten Überfalls (1978–1981) und Raub (1983–1988) abgesessen hatte. Seinen Spitznamen verdankt er seinem Hobby, der Züchtung von Wellensittichen, aber auch dem Ritual, getöteten Verrätern einen lebenden Vogel in den Mund zu stecken.
De la Cruz und die Restless Ravens profitierten von dem Chaos, das Pagad 1996 verbreitet hatte. Gerade, weil sie kleiner waren und daher weniger bedrohlich erschienen, ließ Pagad sie weitestgehend in Ruhe. Die Ravens überlebten diese Phase nicht nur, sondern eroberten dank der Maßnahmen der Bürgerwehr gegen ihre Konkurrenten neue Einzugs- und Absatzgebiete.
Daneben gehörte de la Cruz zu den Gründungsmitgliedern von CORE und erlangte durch sein Verhandlungsgeschick und seine vielfältigen Beziehungen allmählich eine Schlüsselrolle.
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