Rote Spur
entschlossen und schön wie eine Nymphe aus einem Kinderbuch. Und wohlhabend, sogar sehr, dank des Erbes ihres Industriellenvaters. Emma war verzweifelt auf der Suche nach ihrem verschwundenen Bruder – und jemandem, der sie gegen die vermeintlichen Gefahren im Zusammenhang mit seinem Verschwinden beschützte. Ich war der Leibwächter, den ihr Jeanette zugeteilt hatte, misstrauisch, argwöhnisch, skeptisch, denn Emma verkörperte alles, wovor mich meine persönlichen Gebote immer gewarnt hatten.
Doch dann hatte sie mich ganz langsam weichgekocht, gegen meinen Willen, entgegen meinen Erwartungen und vor allem wider mein besseres Wissen. Denn erstens war sie eine Klientin. Und zweitens war ich Lemmer. Weißer Abschaum aus den Nebenstraßen von Seepunt, unkontrolliert aggressiv, mit einem starken Hang zu spontanen Gewaltausbrüchen und außerdem |127| auf Bewährung nach vier Jahren Haft wegen Totschlags. Ich kannte meinen Platz, ich kannte die Realitäten des Lebens.
Ich fand ihren Bruder. Und nachdem alles vorbei war, kehrte ich nach Loxton zurück, überzeugt davon, dass ich sie nie wiedersehen würde und dass es besser so wäre. Aber bei Emma war nichts vorhersehbar.
Sie kam mich besuchen. Nur, um sich zu bedanken, vermutete ich anfangs, denn sie war meistens peinlich korrekt, akribisch ordentlich.
Ich irrte mich.
Der Entwicklung unserer Beziehung haftete etwas Surreales an, als sei ich nur ein Zuschauer meines eigenen Traums. Vielleicht, weil ich nicht einmal die Möglichkeit in Betracht gezogen hatte, dass eine solche Frau sich für mich interessieren könnte. Und weil ich Emma erlegen war, meiner Erleichterung, meinem Erstaunen und meiner Bedürftigkeit. Und meiner morbiden Neugier darauf, wo und wie die Sache aus dem Ruder laufen würde.
Bis heute Morgen neben der RV7.
Ich liebe dich, Lemmer.
Das Problem war, dass Emma noch immer nichts wusste.
Ich hatte ihr meine Vergehen verheimlicht. Sie dachte, ich wohne in Loxton, weil es so ein schönes Dorf mit netten Leuten sei. Sie wusste nicht, dass ich mich vor den Dreckskerlen in der Stadt versteckte, die meine dunkle Seite hervorriefen. Sie wusste nichts von meiner Sehnsucht, durch den Frieden, den Langmut und die Integrität dieses Dorfes geheilt zu werden. Sie wusste nichts von meinem rastlosen Streben danach, von ihnen akzeptiert zu werden.
Dabei schien es von vornherein vergeblich, denn ich war, nach ihrer Ausdrucksweise, ein »Kofferträger« – ein Neuankömmling, ein fremdes Wesen, das auf Distanz blieb, taktvoll, höflich, getreu meinem ersten Gebot. Hinzu kamen die Umstände, die mein seltsamer Beruf mit sich brachte: Ich war als freiberuflicher Leibwächter viel unterwegs, oft wochenlang, und kehrte manchmal mit erkennbaren Verletzungen wieder |128| zurück. Ich war eine Randfigur, die einmal pro Woche mit einer Handfeuerwaffe auf dem Schießstand von Loxton herumknallte und in der Abenddämmerung lange Strecken über die unbefestigten Straßen trabte.
Nur wenige Dorfbewohner wie die exzentrische Antjie Barnard, der joviale Oom Joe van Wyk und meine farbige Haushälterin Agatha le Fleur akzeptierten mich vorbehaltlos. Aber sie waren die Ausnahme. Bis Emma kam.
Sie verkörperte ein Stück Normalität. Sie war der indirekte Beweis dafür, dass ich in Ordnung war – sie, die spontane, sympathische, sprachgewandte junge Frau, die plötzlich auf der Bildfläche erschienen war und mich von da an ein bis zwei Mal im Monat besuchte. Die ihren Renault Mégane gegen einen Land Rover Freelander eingetauscht hatte, um den unbefestigten Straßen zu trotzen. Die eines Freitagnachmittags mit meinem alten Isuzu-Diesel nach Beaufort-Wes gefahren war, um Lebensmittel einzukaufen, und sich auf dem Rückweg in der Kurve bei Jakhalsdans mit meinem Bakkie überschlagen und ihn zu Schrott gefahren hatte.
Am nächsten Morgen hatte sie auf der Suche nach einem biologischen Mittel gegen meine Ameisenplage die graubärtigen Farmer im Kooperativladen mit ihrer Geschichte lauthals zum Lachen gebracht.
»Ich bin ein bisschen schnell in die Kurve, weil ich solche Sehnsucht nach Lemmer hatte.«
»Und dann?«
»Dann habe ich mich überschlagen.«
»Und dann?«
»Dann habe ich festgestellt, dass mir nichts fehlte, und bin die letzten sieben Kilometer bis ins Dorf zu Fuß gegangen.«
Bewunderndes Kopfschütteln. »Und was hat Lemmer gesagt?«
»Keine Ahnung. Ich verstehe kein Französisch.«
Da hätten sie laut gelacht, erzählte Oom Joe, sich gegenseitig auf die
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