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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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einen zu verzehren drohte. Bestimmt hatte sie schon in der Grundschule vielversprechende Talente gezeigt, die es ihr später ermöglicht hatten, Tierärztin zu werden. »Du bist klug«, hatten ihre einfachen, aber im Herzen guten Eltern sie ermutigt. »Du musst weiter zur Schule gehen. Mach etwas aus dir.« Eine andere Art, auszudrücken: Du kannst es schaffen, hier herauszukommen.
    Doch es musste das körperliche Erblühen gewesen sein, was vermutlich den Ausschlag gegeben hatte. Aus Swannies Bemerkung: »Meine Güte, hast du dich verändert«, leitete ich ab, dass sie mit vierzehn unauffällig, ja unscheinbar gewesen war und niemand ahnte, dass einmal eine Schönheit aus ihr werden würde. Deswegen hatte die Metamorphose zwischen fünfzehn und sechzehn sie vermutlich überrascht, so dass sie plötzlich einen Gang höherschalten musste, um die neuen, ungeahnten |152| Möglichkeiten zu erfassen und zu nutzen. Klug und schön zu sein war ein solider Ausgangspunkt für eine steile Karriere.
    Sie hatte ihn genutzt.
    Verbissen hatte sie sich bis hierher hochgearbeitet und rechnete bestimmt mittlerweile damit, irgendwann den großen Coup zu landen. Gewiss träumte sie von einer Märchenhochzeit mit dem steinreichen Besitzer eines exklusiven privaten Wildreservats, wo sie ein Zuchtprogramm für irgendeine exotische Tierart auf die Beine stellen konnte. Dann und wann würde sie fotogen auf den Titelseiten der Naturschutzmagazine prangen, die Arme ihres attraktiven, ein wenig älteren Gatten liebevoll um sie gelegt, ihre Arme schützend um ein Gepardenjunges geschlungen.
    Doch ich wusste aus persönlicher Erfahrung, dass man seiner Herkunft nicht entfliehen konnte. Sie steckte in einem, war verwoben mit jeder Zelle. Man konnte behaupten, den Kontakt zu den Eltern verloren zu haben, man konnte ausweichende Antworten geben, wenn Emma fragte: »Wie war das denn so, in Seepunt aufzuwachsen?« Man konnte sich in Loxton verstecken, aber irgendwann holte einen die Vergangenheit ein.
    Ich dachte bei mir, dass Floh van Jaarsveld das vermutlich wusste, auf irgendeine Weise. Es war die Angst vor der Demaskierung, die an ihr fraß, sie war die Triebfeder, die sie zu dieser aggressiven, entschlossenen jungen Frau geformt hatte.
    Das Gefühl war mir wohlvertraut. Deswegen würde ich sie gewähren lassen. Mich darauf einstellen.
    Doch sollte ich Lourens le Riche warnen? Denn Floh würde ihm das Herz brechen.
    Nein. Nicht einmischen. Lemmers Erstes Gebot.

|153| 27
    Spurenleser müssen auch in der Lage sein, das Verhalten des Tieres zu interpretieren, so dass sie seine Bewegungen ahnen und vorhersagen können.
    Grundzüge des Spurenlesens: Spureninterpretation
     
    Unbefestigte Straßen in Limpopo, hier und da ein geteertes Stück, die ganze Gegend still und verlassen so spät in der Nacht. Lourens hatte das Fernlicht eingeschaltet, das am Straßenrand hohes dürres Gras und manchmal Bäume, Tiere, Esel sowie kleine Gehöfte und ärmliche, dunkle Siedlungen erhellte. In der Kabine herrschte Ruhe, denn unsere Tierärztin schlief.
    Unbemerkt war sie eingenickt. Die Arme waren plötzlich von den Knien gerutscht, und sie verbarg den Schreckmoment, indem sie die Beine unter dem Armaturenbrett ausstreckte, mit dem Rücken gereizt auf dem Kissen herumrutschte und den Kopf seitlich gegen Lourens’ Rückenlehne sinken ließ.
    Erst als wir kurz vor Mitternacht auf die geteerte R561 in Richtung Süden abbogen, flüsterte mir Lourens zu: »Könntest du bitte mal den Kaffee rausholen, Oom?«
    Vorsichtig, um sie nicht zu stören, zog ich eine Thermoskanne hervor.
    »Die Becher sind da oben«, sagte er und zeigte auf ein Fach in der Mitte über uns. Anschließend warf er einen Blick in den Seitenspiegel. Ich reckte mich, öffnete die Klappe des Fachs und holte Becher heraus.
    »Nimm dir auch einen.«
    Ich schenkte Kaffee ein und reichte Lourens einen Becher. Er nahm ihn, sah Floh zärtlich und mitfühlend an und sagte: »Sie ist sicher geschafft. Ob sie schon den ganzen Weg durch Simbabwe mitgefahren ist?«
    »Bestimmt«, flüsterte ich. »Muss eine höllische Plackerei gewesen sein.«
    Da hatte er recht. Vielleicht sollte ich meine Meinung über |154| sie revidieren. Siebenhundert Kilometer durch Simbabwe mit einer illegalen Fracht hatten sicher ihren Tribut gefordert.
    »Wie Oom Diederik wohl an sie geraten ist?«, fragte sich Lourens. Dann sah er erneut in den Seitenspiegel, ging vom Gas, prüfte mit den Lippen die Temperatur des Kaffees, schaute

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