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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Ich erkannte nur die unmittelbare Umgebung, die Straße, das hohe Gras, tiefe Schatten von Dornakazien jenseits des Wildzauns.
    Ich horchte. Hinter mir hörte ich die Geräusche des Lkws, abkühlendes Metall. Dann: Schritte auf dem Kies.
    »Steig in den Wagen«, befahl ich leise.
    Floh stellte sich neben mich. »Wenn die Wirkung des Beruhigungsmittel nachlässt, geraten die Nashörner in Panik.«
    Ich starrte in die Finsternis und versuchte, sie auszumachen.
    »Ich hab schon mal gesehen, wie sich ein Nashorn im Käfig die Schnauze zu Brei geschlagen hat«, sagte sie.
    Ich legte den Finger an die Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen.
    »Einen Tag später war es tot. Aber im Dunkeln kann ich keine Spritze setzen. Können wir weiterfahren?«
    Ich wusste genug. Wir hatten ein Problem. Jemand verfolgte uns, und zwar planvoll. Ohne selbst gesehen zu werden. Bisher schienen sie nichts anderes zu wollen.
    Ich drehte mich um, kehrte zur Beifahrertür zurück und wartete |160| dort auf Floh. Sie kam nicht sofort. Bloß nicht. Dann folgte sie mir mit gesenktem Kopf und verschränkten Armen, warf mir einen giftigen Blick zu und stieg ein. Ich folgte ihr und sagte zu Lourens: »Fahren wir weiter. Lass die Scheinwerfer solange wie möglich ausgeschaltet.«
     
    Floh sagte: »Irgendwas stimmt doch da nicht.«
    Lourens konzentrierte sich auf die Straße. Er fuhr langsam.
    Ich dachte nach.
    Sie wussten, dass wir von ihnen wussten. Im Dunkeln konnten sie genauso wenig erkennen wie ich, aber sie hatten den Motor ausgeschaltet und mussten daher gehört haben, wie der Mercedes losfuhr. Sie wussten, dass wir irgendwann die Scheinwerfer wieder einschalten mussten, wenn wir nicht bis Tagesanbruch im Schneckentempo weiterkriechen wollten. Wenn sie dicht genug hinter uns blieben, konnten sie uns ohne Scheinwerfer folgen und den Lkw bis zum Morgengrauen als Wegweiser benutzen.
    Die Frage war nicht, was sie wollten. Dicht hinter mir befanden sich Rhinozeroshörner im Wert von einer Million Rand. Die Frage war vielmehr, worauf sie warteten. Ihr Fahrzeug war nicht groß, eine Limousine oder ein Bakkie. Oder ein Kleinbus, der acht bis zehn Personen transportieren konnte. Eine Übermacht, wenn wir anhielten. Was wir eben getan hatten. Aber es war nichts geschehen.
    Wussten sie, dass wir bewaffnet waren? Oder nahmen sie es an? Oder lag ich völlig daneben?
    Was würde ich tun, wenn ich einen Zwanzigtonner kapern wollte?
    Das hing davon ab, was man wollte. Ich bezweifelte, dass unsere Verfolger sich für irgendetwas anderes als die Hörner interessierten. Dafür brauchten sie nur den Lkw zum Anhalten zu zwingen, ohne sich selbst unnötig zu gefährden, dann die Insassen zu liquidieren, die Beute abzusägen und abzuhauen. Es gab nur einen Weg, das alles problemlos durchzuführen.
    |161| Ich drehte mich auf meinem Sitz um, so dass ich meine Sporttasche erreichen konnte, und holte die MAG7 heraus.
    »Ach du Schande«, sagte Floh.
    Ich schnallte mich an und fragte Lourens: »Gibt es einen Sicherheitsgurt für sie?«
    »Nein, Oom.«
    Ich sah sie an. Ihr Hochmut war verflogen, aber die Vorwurfshaltung war noch da. Zum ersten Mal sah ich ihr linkes Auge aus der Nähe. Eine weitere feine Narbe zog sich von dem kleinen Ritz in ihrem Unterlid einen Zentimeter weit bis zur Wange hinunter, dünn wie ein Haar.
    »Wenn ich ›runter‹ sage, kriechst du da rein.« Ich zeigte auf den Fußraum vor meinem Sitz. »Ich mache dir Platz.«
    »Warum?«
    Allmählich verlor ich die Geduld, doch Lourens kam mir zuvor. »Er ist ausgebildeter Leibwächter, Cornél. Du solltest besser auf ihn hören.«
    »Ein Leibwächter?«
    »Hör zu«, sagte ich, »die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Nashörner lebend haben wollen, ist gering. Das wäre zu mühsam: zeitraubendes Umladen, die Spritzen, die Pflege. Wir müssen davon ausgehen, dass sie nur die Hörner wollen. Das bedeutet, dass sie uns aufhalten werden. Möglicherweise müssen wir demnächst eine Blockade durchbrechen, irgendetwas über den Haufen fahren …«
    »Nein!«, sagte sie. »Die Tiere!«
    »Die Tiere sind ausreichend geschützt. Aber wenn wir anhalten müssen, sind wir und die Tiere in Gefahr.«
    Floh dachte darüber nach. Dann nickte sie zu meinem Erstaunen.
    Langsam holte sie Luft, sah mir in die Augen und fragte: »Also, was soll ich tun?«
    »Lass mich erst in Ruhe nachdenken.«
    Reglos saß sie da.
    Ich sah in den Spiegel. Die Straße hinter uns war unverändert |162| dunkel.

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