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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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mich, lange und gründlich.
    Anschließend kaufte ich in der Tankstelle vier Liter Cola, denn die beiden brauchten Zucker.
    |175| Lourens wollte wieder fahren.
    »Gleich«, vertröstete ich ihn und gab ihm von der Cola zu trinken. »Du kannst mich lotsen.«
    Um 2:45 verließen wir die kleine Stadt. Lourens’ Stimme klang noch immer emotionslos.
    Ich hätte gerne mit ihnen geredet. Ihnen gesagt, dass sie sich für ihre Angst nicht zu schämen brauchten. Ich hätte ihnen gerne erklärt, wie Gewalt und Angst einem Menschen die Würde rauben und dass man das nicht zulassen darf. Ich hätte ihnen erläutert, was ein Trauma ist und mit welchen Prozessen und Mechanismen man es verarbeiten konnte. Zum Beispiel durch Rache.
    Aber ich fand nicht die richtigen Worte.
    Schließlich kramte Lourens seine CDs aus einem Fach im Armaturenbrett. Er wählte eine aus, legte sie ein und drehte die Lautstärke auf. Ich warf einen Blick auf die Hülle. Arsis.
We are the Nightmare.
    Death Metal hämmerte auf uns ein, surrealistisch, außerirdisch, bis nichts anderes daneben existierte.
     
    Als die CD zu Ende war, herrschte quälende Stille. Dann sagte Lourens: »Ich kann jetzt wieder übernehmen, Oom.«
    »Lass mich bis Rustenburg fahren«, erwiderte ich. »Versuch, ein bisschen zu schlafen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
    Er zögerte, sagte dann aber: »Okay.«
    »Möchtest du ein Kissen?«, fragte Floh.
    »Nein, danke. Du solltest auch versuchen zu schlafen.«
    Sie hatten jetzt etwas gemeinsam.
    »Es tut mir leid«, sagte ich.
    »Du konntest doch nichts dafür, Oom.«
    Ich sagte nichts.
    »Du hättest es nicht verhindern können.«
    Ich hätte ihm gerne geglaubt. Es waren einfach zu viele gewesen.
    |176| »Was wollten die denn bloß?«, fragte Floh rhetorisch.
    »Keine Ahnung.«
    Sie drehte sich zu mir. »Ist das die Wahrheit?«
    »Natürlich«, fuhr Lourens sie an. »Oom Diederik hat ihn gestern erst als Begleitschutz angeheuert.«
    »Warum eigentlich?«
    Das war die Frage.
    »Ich werde es herausfinden«, versprach ich. Denn die Antwort lag bei Diederik Brand. Dem alten Halunken. Dem Schwarzen Schwan der Bo-Karoo. »Ich werde es herausfinden.«
     
    Beide schliefen, zwei Stunden lang.
    Ich wusste nur zu gut, was Lourens durchmachte. Die Nähe des Todes, der Schock der ersten Konfrontation mit dieser Art von brutaler Gewalt. Die Unfähigkeit, sich vorzustellen, geschweige denn zu akzeptieren, dass Menschen zu so etwas in der Lage waren und die Welt letztendlich ein Ort war, an dem die Gewalttätigsten siegten. Ich war acht Jahre alt, als mein Vater anfing, mich zu misshandeln. Um meine Mutter für ihre Untreue zu bestrafen. Ein Kind lernt schneller und passt sich leichter an, weil es nichts anderes kennt. Aber Lourens stammte aus einer stabilen, liebevollen Familie, die ihm Würde und Selbstbewusstsein vermittelt und Nächstenliebe und Respekt vor anderen beigebracht hatte.
    Das alles hatte man ihm entrissen.
    Siebzig Kilometer vor Rustenburg ging die Sonne auf, schräg links, so dass ich die Blende herunterklappen musste. Lourens erwachte.
    »Wie geht’s dir?«, fragte ich.
    »Besser, danke. Ich kann jetzt wirklich wieder fahren.« Doch seine Munterkeit klang gezwungen.
    Ich hielt an und stieg aus. Ich hatte hämmernde Kopfschmerzen, mein linkes Auge war zugeschwollen, mein ganzer Körper schmerzte, aber ich schien keine schlimmeren Verletzungen erlitten zu haben als eine gebrochene Rippe. Vorne vor |177| dem Lkw legte Lourens mir die Hand auf den Arm. »Oom, wir hätten nichts gegen sie ausrichten können.«
    Ernst sah er mich an. Ich nickte nur.
    Als wir losfuhren, schreckte Floh aus dem Schlaf, schaute auf die Uhr und zog eine Karte zu Rate. »Ventersdorp«, sagte sie. »Um sechs muss ich sie wieder spritzen.«
    Ich ließ Lourens bei einer Tankstelle in Rustenburg anhalten, damit wir uns frisch machen konnten. Außerdem wollte ich prüfen, ob ich Blut im Urin hatte.
    Hatte ich nicht. Floh kam mit zwei braunen Papiertüten aus dem Tankstellenladen. Als wir wieder losfuhren, holte sie eine Schachtel Schmerztabletten für mich heraus, dazu belegte Brötchen, Kaffee und Cola. Fürsorglich reichte sie Lourens das Frühstück. Von ihr ging jetzt große Entschlossenheit, eine innere Kraft aus.
    Ich hatte mich in ihr getäuscht.
    Lourens schaltete das Radio ein. Wir hörten die Nachrichten auf RSG, Berichte über die schlimmen Geschehnisse in Südafrika und auf der ganzen Welt, alles hausgemacht, durch die Bank.
Annus

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