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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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horribilis.
    Um zwanzig vor sechs hielten wir an. Lourens und Floh stiegen hinten auf die Käfige zu den Tieren, sie mit ihrem Arztkoffer. Lourens half ihr, die Nashörner zu beruhigen. Ich stand nutzlos neben dem Lkw und sah zu, wie ein Traktor Furchen durch einen Acker zog.
    Kurz bevor wir uns wieder auf den Weg machten, rief Nicola an. »Wir sind spät dran«, sagte Lourens. Und dann: »Ich schätze, heute Abend so gegen sieben. Nein, nein … nur ein bisschen müde … Uns geht’s gut.«
    Im Großen und Ganzen. Was hätte es genützt, von den Ereignissen der letzten Nacht zu berichten?
    Hinter Hartebeesfontein konnte Floh Lourens’ Schweigen nicht mehr ertragen. Sie bat ihn, ihm von der Bo-Karoo zu erzählen, mit vertraulicher, sanfter Stimme, wie eine Geliebte. Er holte tief Luft, bevor er antwortete, und blieb erst höflich an |178| der Oberfläche. Aber sie fragte ihn weiter und weiter aus. Über seine Familie, über ihn selbst. Das war ihre Strategie. Lourens’ Stimme klang allmählich modulierter und kräftiger, ein Zeichen, dass er wieder zu sich kam. Er war noch jung. Und zäh. Vielleicht schaffte er es, seinen Schock zu überwinden, ohne einen Knacks zurückzubehalten.
    Das Schmerzmittel machte mich schläfrig. Ich kämpfte gegen die Müdigkeit an, indem ich meine Frustration und meine Wut als Gegenmittel heraufbeschwor. Diederik Brand. Ich freute mich schon darauf, ihn wiederzusehen. Ihn und Inkunzi. Ich würde nach ihm suchen. Ich würde ihn zwingen, sich hinzuknien und ihm die Glock an den Hinterkopf halten. Ihm seine Würde nehmen, wie er sie Lourens genommen hatte, einen Schuss abfeuern und sehen, wie er vor Schreck zusammenzuckte. Ich würde ihn spüren lassen, wie es ist, dem Tod ins Auge zu blicken.
    Mein Handy weckte mich. Mit schmerzenden, steifen Gliedern suchte ich in meiner Gesäßtasche, drückte den falschen Knopf, würgte den Anruf ab.
    »Wo sind wir?«, fragte ich und sah auf der Uhr im Armaturenbrett, dass es 08:41 Uhr war.
    »Kurz vor Herzogville. Du hast tief und fest geschlafen.«
    Lemmer, der allzeit bereite Personenschützer.
    Ich sah nach, wer mich angerufen hatte. Jeanette. Ich rief zurück.
    »Wie geht’s?«, fragte sie, wie üblich voller frühmorgendlicher Energie und Tatendrang.
    »Wir kommen voran.« Ich würde ihr später alles erzählen, wenn ich allein war.
    »Dein Freund Diederik hat noch nicht gezahlt.«
    »Er ist nicht mein Freund.«
    »Ich dachte, ihr wärt alle Kumpel, da bei euch im Hinterland.«
    »Ich sehe ihn heute Abend. Dann wird er schon bezahlen.«
    »Irgendwie klingt das in meinen Ohren, als wärst du von deinem Ausflug ein wenig enttäuscht.«
    »Ich rufe dich heute Abend noch mal an.«
    |179| »Alles okay, Lemmer?«
    »Wird schon.«
    Sie begriff schnell. »Du kannst jetzt nicht reden. Muss ich mir wegen irgendetwas Sorgen machen?«
    »Nein.«
    »Ruf mich an, sobald du kannst«, bat sie besorgt.
    Sie ließ es nicht zu, dass mit ihren Leuten Schindluder getrieben wurde.

31
    Buchstäblich alle vorstellbaren Verhaltensweisen hinterlassen spezifische Markierungen, die es dem Spurenleser ermöglichen, die Bewegungen eines Tieres zu rekonstruieren.
    Die Kunst des Spurenlesens: Spureninterpretation
     
    Lourens taute auf. Er fragte Floh: »Du liebst Nashörner, oder?«
    Sie rollte mit den Schultern zum Zeichen, dass das nicht unbedingt der Fall war. »Das Spitzmaulnashorn ist bedroht«, erwiderte sie.
    »Spitzmaulnashorn?«
    »Ja, das ist der korrekte Name des Schwarzen Nashorns, wie es bei uns genannt wird, im Gegensatz zum Breitmaulnashorn oder Weißen Nashorn. In Wirklichkeit unterscheiden sich die Tiere von der Farbe her nicht. Der Name ›Weißes Nashorn‹ geht auf einen Übersetzungsfehler zurück. Der afrikaanse Begriff ›wijd‹, also ›breit‹, für die Form des Mauls, wurde von den Engländern als ›white‹ verstanden. An der Maulform lassen sich die Arten deutlich unterscheiden.«
    »Wie gefährdet ist das Spitzmaulnashorn?«
    »1970 gab es noch fünfundsechzigtausend von ihnen, 1993 nur noch zweitausend.«
    »Auf der ganzen Welt?«
    Sie nickte. »Sechsundneunzig Prozent des Bestandes sind ausgerottet worden.«
    |180| »Mein Gott, so viel. Und inzwischen?«
    »Heute gibt es wieder an die dreitausendsiebenhundert.«
    »Okay«, sagte Lourens. »Jetzt wird mir einiges klar.« Dann fragte er: »Nur wegen der Hörner? Weil die Chinesen glauben, die Hörner seien ein … Potenzmittel …«
    »Nein, das ist ein Mythos. Sie glauben, es hilft gegen

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