Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
Vom Netzwerk:
wir einen Lebendigen«, sagte Inkunzi und kehrte zu Lourens zurück. Er stellte sich hinter die gebeugte Gestalt und presste ihm die Glock in den Nacken.
    »Wo ist das Zeug?«, fragte er, jetzt nicht mehr auf Englisch, sondern in lupenreinem Afrikaans mit nur leichtem Schwarzen-Akzent.
    »Ich weiß es nicht!«, kreischte Floh.
    Eins …«
    »Bitte nicht!«
    »Zwei …«
    »Nehmt die Hörner!«, schrie sie gellend, außer sich vor Angst.
    »Ich will die Scheißhörner nicht.«
    »Was wollt ihr denn?«, fragte ich.
    »Das wisst ihr genau!«
    |170| Das ergab keinen Sinn. »Nein!«, entgegnete ich und versuchte, meinen Kopf heftig zu schütteln. Blöde Idee.
    »Ihr habt dahinten angehalten.«
    »Ja, weil ihr hinter uns wart.«
    Nachdenklich starrte er den wehrlosen Nacken von Lourens le Riche an. Er drückte den Abzug, ein donnernder Knall, Lourens zuckte, Floh schrie auf wie ein Tier. Lourens sank nicht zu Boden, er blieb sitzen. Ich erkannte, was die Staubexplosion auf der Straßendecke zu bedeuten hatte: Inkunzi hatte absichtlich vorbeigeschossen.
    Ein herzzerreißender Laut drang aus Lourens Kehle. Dann erbrach er sich wieder.
    Floh weinte. Ihre Schultern zuckten.
    Der große Mann sah uns an, einen nach dem anderen. Lourens holte stoßweise Atem, um nicht zu schluchzen. Inkunzi kam auf mich zu, mit ruhigen Schritten. »Ihr habt sie ins Veld geworfen.«
    »Was denn?«, fragte ich.
    Er stieß einen Laut aus, sollte wohl ein Lachen sein, aber seine Lippe war aufgeplatzt. Ich empfand Genugtuung. »Wir wissen alles«, sagte er, bückte sich und drückte mir mit seiner großen Hand auf die Brust.
    Bei einer Gehirnerschütterung kann man nicht mehr besonders klar denken. Mir fiel keine Antwort ein. »Nehmt den Lkw«, sagte ich. »Nehmt alles. Nehmt mich auch mit. Aber lasst die beiden in Ruhe. Bitte.«
    »Nein«, erwiderte er sachlich. »Sag mir nur, ob ihr das Zeug ins Veld geworfen habt. Wo müssen wir suchen? Jenseits des Zauns?«
    »Ich wollte nur wissen, ob ihr uns verfolgt. Sonst nichts.«
    Er überlegte und sagte dann: »Du bist ein Profi. Und jetzt frage ich mich, warum du hier bist. Und dazu die ganzen Knarren und die abgelegene Strecke. Dafür gibt’s doch einen Grund.«
    »Wegen der Nashörner.«
    Wieder dieses Lachgeräusch, ohne eine Miene zu verziehen.
    |171| »Die Hörner sind ein Vermögen wert«, fügte ich hinzu.
    »Chinesischer Hexenkram«, sagte er und stand auf. »Damit mache ich keine Geschäfte.«
    »Womit denn?«
    Er ignorierte mich und erhob sich langsam. Mit gesenktem Kopf, tief nachdenklich, fasste er sich an die Nase und sah schließlich einen seiner Trabanten an. »Seid ihr sicher, dass nichts in dem Lkw ist?«
    »Ja, Inkunzi.«
    »Scheiße.« Er zog ein Tuch aus der Tasche, wischte meine Glock damit sauber und warf sie zu unseren Sachen. »Wir haben die Stelle markiert, an der sie angehalten haben, mit drei Steinen auf jeder Straßenseite.«
    Deswegen waren sie einen Moment lang verschwunden gewesen.
    »Nimm die Männer mit und sucht alles ab. Sie müssen da sein.«
    »Sollen wir sie jetzt umlegen?«
    Er sah mich an. »Den da. Den würde ich gerne zuerst erledigen. Aber vorher …«
    Er ging zu Floh, zog sie an den Haaren hoch, drängte sich dicht an sie. Sie zappelte, aber er hielt sie mit eisernem Griff an ihrem Pferdeschwanz und zerrte sie an sich. Er presste seinen zerschundenen Mund an ihr Ohr, streichelte mit der linken Hand über ihre Brüste und flüsterte ihr etwas zu.
    Sie zitterte.
    Er stieß sie weg, drehte sich plötzlich um und kehrte zu mir zurück. Er zog die Smith & Wesson aus dem Gürtel und stellte sich breitbeinig über mich, mit ausdruckslosem Gesicht. Er hob den Revolver.

|172| 30
    Um die Risiken zu minimieren, von einem gefährlichen Tier getötet zu werden, muss man seine irrationale Angst vor dem Unbekannten überwinden, zugleich aber auch die irrationale Furchtlosigkeit vor dem hinter sich lassen, was man zu kennen glaubt.
    Grundzüge des Spurenlesens: Gefährliche Tiere
     
    Ich zog mich an einen Ort zurück, den ich als Kind entdeckt hatte, ein Niemandsland, einen Zufluchtsort. Kein Zimmer, aber von schützenden Mauern umgeben. Kein offener Raum, dennoch konnte ich das tröstende Meer sehen und hören. Ich war mir bewusst, wo mein Körper war, doch ich war nicht dort, und der Schmerz war dumpf und weit weg. Ich wusste, dass mein Blick jetzt starr wurde. Früher hatte er ausgedrückt: Ich fürchte deine Faustschläge nicht, Vater, ich ertrage sie. Denn ich war

Weitere Kostenlose Bücher