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Rote Spur

Rote Spur

Titel: Rote Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deon Meyer
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jetzt so vollkommen ruhig dalag. Da und dort brannte sicher noch Licht, flackerte ein Fernseher, arglose, gute Leute, die sich die Zeit vor dem Schlafengehen vertrieben. Gleich würde die gefleckte Ohreule rufen, zwei einsame Silben aus ihrem Nest in der Tanne gegenüber des Altenheims. Zwei Stachelschweine würden sich unter meinem Zaun hindurchwühlen und im Garten räubern. Der Wind würde in den Birnbäumen rascheln, ein Lkw würde auf der Teerstraße weiter oben vorbeidonnern in Richtung Victoria-Wes. Vorhersehbar, gleichförmig, geordnet, ein Rhythmus, der sich seit hundert Jahren nicht verändert hatte. Ich war verrückt danach, konnte nicht mehr ohne die Ruhe leben.
    Deswegen würde ich vorsichtig sein müssen, denn Diederik Brand war ein Teil von alldem. Er mochte ein Halunke und Betrüger sein, aber er war einer aus Loxton. Seine Geschichte in diesem Distrikt reichte vier Generationen zurück, er war ein Baustein der DNS dieser Gegend. Hier wurde vergeben und vergessen, hier sagte man mit einem schalkhaften Lächeln: »Ja, ja, der Diederik«, denn es gab Loyalitäten, die über Jahrzehnte gewachsen waren, Großväter, die zusammen im Burenkrieg gefallen waren, gemeinsam durchlittene Dürren, Krankheiten und Seuchen, die Abgelegenheit, die bedeutete, dass alle aufeinander angewiesen waren und auch noch morgen würden zusammenleben müssen, beim Genossenschaftshandel, dem Kirchenbasar und der Schafsauktion.
    Wenn ich Diederik bestrafen wollte, brauchte ich mehr als eine gefälschte Genehmigung.
     
    Ich konnte nicht schlafen. Emmas Geruch hing noch an meiner Bettwäsche, das Haus war leer ohne sie, als spürten alle Dinge, alle Räume ihre Abwesenheit. Ich sehnte mich nach ihr.
    Ich nahm mir fest vor, runter ans Kap zu fahren, mich vor sie |213| hinzustellen und meine Seele vor ihr zu entblößen, damit sie offen sagen konnte, wenn es für uns keine Zukunft gab. Mit den Folgen müsste ich dann leben. Aber ich hatte keine andere Wahl. Doch erst musste ich Floh und Inkunzi suchen. Die Glock zurückholen. Und Antworten finden.
    Ich dachte an all die Fragen, durchlebte die letzten zweiundsiebzig Stunden noch einmal und suchte nach dem Sinn. Doch ich stieß nur auf wirre, ineinander verschlungene Ereignisse, verknotete Stränge und Fäden, ich mühte mich ab, zupfte hier und da an einem Ende und zog alles nur noch enger zusammen. Bis ich mich fragte, wohin Floh van Jaarsveld in der Nacht verschwunden war. Es waren sechzig Kilometer von Diederiks Farm bis zum nächsten Ort, zehn Kilometer bis zur nächsten größeren, einsamen unbefestigten Straße, ohne Handyempfang. Sie kannte die Umgebung nicht, sie kannte niemanden …
    Doch plötzlich fiel mir ein, dass sie durchaus jemanden kannte, jemanden, der sie hingerissen angestarrt hatte, jemand, der ihre Zicken voller Mitgefühl mit Erschöpfung entschuldigt hatte, jemand, der über eintausendfünfhundert Kilometer hinweg ein Band mit ihr geschmiedet hatte.
    Ich stand auf und schaute auf die Uhr. Viertel vor zehn. Vielleicht war er noch wach. Ich rief bei der Vermittlung an und fragte, ob sie die Nummer der le Riches vom Pampoenpoort hätten.
    »Ich verbinde …«
    Es klingelte, weit weg und eintönig, Störungen knisterten und knackten in der Leitung. »Hallo, hier ist Lourens.« Fröhlich, hellwach, hoffnungsvoll.
    »Hallo Lourens, ich bin’s, Lemmer.«
    »Hallo, Oom, wie geht’s?« Mit einem Funken Enttäuschung, als habe er gehofft, es sei jemand anders.
    »Gut, danke.« Es hatte keinen Sinn, irgendetwas zu beschönigen. »Lourens, hast du gestern Nacht Cornél bei Diederik abgeholt?«
    Das Schweigen zog sich hin, bis er sagte: »Oom … Kann ich dich zurückrufen? Von meinem Handy aus?«
    |214| Er wollte mir nicht über eine Farmleitung antworten. Das sagte schon fast alles.
    »Natürlich«, antwortete ich und gab ihm die Nummer.
    Zwölf Minuten später rief er zurück. Mit gedämpfter Stimme fragte er: »Woher hast du das gewusst, Oom?«
    »Ich hatte es vermutet, Lourens.«
    »Oom, ich …«
    »Das bleibt unter uns, Lourens. Versprochen. Hat sie dich gebeten, sie abzuholen?«
    Er zögerte, bevor er antwortete. »Ja, Oom.«
    »Ich möchte eigentlich nur wissen, wohin du sie gebracht hast.«
    »Ai, Oom, ich … Sie … Ins Dorf. Ich wollte sie nicht einfach so … Aber sie hat gesagt, jemand würde sie abholen. Warum willst du das eigentlich wissen?«
    »Wir machen uns nur Sorgen um sie. Sie hat Diederik nicht gesagt, dass sie wegwollte.«
    »Zu mir hat sie

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