Rote Spur
er löste nur seinen Pferdeschwanz und schüttelte den Kopf, so dass ihm die Haare locker auf die Schultern fielen. Dann sagte er: »Ich verteile die Gewehre. Unter meinen Farmer-Freunden. Den wenigen, die noch übrig sind. So hat Diederik es gewollt. Deswegen hat er sie mir überlassen.«
Dann drehte er sich langsam um und kehrte ans Lagerfeuer zurück. Er wünschte Lotter eine gute Nacht, nahm seinen Stab, |247| der noch an der Einfriedung lehnte, und marschierte mit seinem Rafiki-Gang in Richtung der Zelte.
Und jetzt lag ich im Zelt, lauschte und dachte an Nachttiere und geheimes Leben. An Wahrnehmungen. Und an die Geschichten, die durch sie entstanden und beim Weitererzählen häufig ausgeschmückt wurden. An die Schicht Tarnfarbe, die wir so geübt und geschickt auf unsere Fassade auftrugen, dass die Pinselstriche meist unsichtbar blieben.
Diederik Brand. Der alte Halunke. Der Bauernfänger. Ein »Original«, wie Lourens le Riche und Lotter ihn beschrieben hatten. Er war also doch nicht der Schwarze Schwan, für den ich ihn gehalten hatte. Nein, Grau war seine Farbe, gerade hell genug, um das gutherzige Bo-Karoolächeln hervorzulocken, das besagte: »Ja, ja, der Diederik.« Ich vermutete, dass er dieses Bild bewusst geschaffen hatte. Seine Vergehen berührten immer nur die Grenze der Illegalität, so dass sie gerade noch gesellschaftlich toleriert wurden. Ich dachte daran, was Emma von ihren Kunden und deren Produkten zu sagen pflegte: Es war seine einzigartige Verkaufsstrategie, die ihn aus der Masse hervorhob. Seine Masche.
Verbarg er seine philanthropischen Züge bewusst vor Loxton, die Hilfsflüge für die Farmer in Simbabwe, das Geschenk einer Sendung MAG7-Schrotgewehre, weil dies sein selbstgeschaffenes Bild verändert und ihn womöglich weniger interessant hätte erscheinen lassen?
Sehr merkwürdig. Der wahre Diederik Brand möge sich bitte erheben. Oder war er das im Grunde, diese Summe der Gegensätze, dieser Mann, der so selbstzufrieden die ruhig weidenden Nashörner betrachtet hatte, denn sein Geld hatte sie gerettet, sein Einsatz, seine Notlügen und Fälschungen.
Und dann Ehrlichmann mit seiner Löwenmähne, den Armbändern und dem Wanderstab. Ein eigener Typ, auffällig, pompös, seine Persönlichkeit noch verstärkt und geschliffen durch seine Weisheiten, die Manierismen, den Tonfall, die Stimme, die spannenden Geschichten. Ich misstraute von Natur aus solchen |248| Menschen wie ihm, stets in der Annahme, dass sie etwas zu verbergen hatten oder zumindest in einer Traumwelt lebten – beides gleich gefährlich in meinem Beruf.
Ich glaube, Sie haben Ihre eigenen Dämonen.
Damit konnte er Verschiedenes andeuten: dass er auch seine eigenen hatte. Dass er über die Einsicht – und das Interesse – verfügte, meine zu erkennen. Dass er nicht urteilte. Eigenschaften, die ihn viel interessanter und sympathischer machten als seine aufgesetzte äußere Erscheinung. Was mich zu der Frage brachte: Warum das alles?
Die Antwort war dieselbe wie bei Diederik: weil er unbedingt auffallen wollte.
Emmas Theorie besagte, dass dieses Bedürfnis hinter allen Markenprodukten steckte – der Wunsch des Menschen, sich aus der Uniformität der Masse hervorzuheben. Wir versuchten, durch alles, was wir kauften, ein Bild zu erschaffen, ein Plakat unserer selbst, das wir der Welt vorhielten und das aussagte: Das bin ich. Emma fand dieses Konzept interessant und aufregend. Für mich war es deprimierend, weil wir dadurch nicht mehr über unser Verhalten, sondern über unseren Besitz definiert wurden. Dies war der Motor der Konsumgeilheit, der Oberflächlichkeit und der Gier, der Ursprung aller Lügen und Mauscheleien.
Dies, so dachte ich, war auch das Motiv von Floh van Jaarsveld. Im Besitz suchte sie Erlösung von ihrer herzzerreißenden Geschichte, den Verletzungen, der Erniedrigung. Ich dachte daran, wie wir im Lkw über reiche Afrikaner gesprochen hatten.
Sie sind aber nicht alle so
, hatte Floh eingewandt. Denn sie wollte so gerne selbst dazugehören. Sie glaubte, das würde ihren Schmerz lindern.
Sie war so erstaunlich zielstrebig, so unbarmherzig in ihrem Betrug. Ich sah sie vor mir, bei dem Elefantenzensus, in ihrer engen Kleidung, emsig, emsig, emsig auf der Suche nach Chancen, nach Kontakten. Den Nutzlosen zeigte sie die kalte Schulter, den Nützlichen herzliche Sympathie.
Sie hatte mich und vor allem Lourens geschickt manipuliert, uns mit ihren Anspielungen und ihrer Annäherung unmerklich |249|
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