Roter Drache
sprechen.«
»Wie du meinst. Ich kann dich dort ja notfalls in kürzester Zeit erreichen.«
Graham fand den Sektionschef in der Serologie.
»Brian, könnten Sie mir vielleicht ein paar Dinge zeigen?« »Selbstverständlich. Was denn?«
»Die Blutproben, anhand deren Sie die Blutgruppe der
Zahnschwuchtel ermittelt haben.«
Zeller sah Graham durch die Leselinsen seiner bifokalen Brille
an. »War Ihnen irgend etwas in meinem Bericht unklar?« »Nein.«
»War irgend etwas daran nicht in Ordnung?«
»Nein.«
»War irgend etwas daran unvollständig?« Zeller artikulierte das
letzte Wort, als kaute er auf einer wenig schmackhaften Speise
herum.
»An Ihrem Bericht war nicht das geringste auszusetzen. Daran liegt es nicht. Ich hätte das Beweismaterial nur einfach gern
mal in den Händen gehalten.«
»Ach so, aber sicher. Das läßt sich machen.« Zeller war fest
davon überzeugt, daß alle Außendienstler den abergläubischen
Vorstellungen passionierter Jäger frönten. Doch kam er Grahams
Bitte bereitwillig nach. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Während Graham neben ihm an den langen Reihen von aufwendigen Apparaturen entlangging, sprach er Zeller auf die
gerichtsmedizinischen Werke an, die er in seinem Bücherregal
bemerkt hatte. »Wie ich gesehen habe, lesen Sie Tedeschi.« »Ja«, nickte Zeller. »Wie Sie sicher wissen, befassen wir uns
hier ja nicht mit Gerichtsmedizin, aber in dem Tedeschi stehen
eine Menge nützlicher Informationen. Graham, Will Graham.
Sie haben doch die bekannte Standardmonographie verfaßt, die
sich mit der Bestimmung des Todeszeitpunkts anhand von Insektenaktivität befaßt, oder nicht? Sie sind doch dieser
Graham, wenn ich mich nicht täusche?«
»Jawohl, das habe ich geschrieben.« Und nach einer kurzen
Pause. »Allerdings ist dieses Thema im Tedeschi von Mant und
Nuorteva besser behandelt.«
Zeller war überrascht, seinen Gedanken ausgesprochen zu
hören. »Nun ja, das Bildmaterial und die Tabellen sind zumindest etwas ausführlicher. Nichts für ungut.«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Mir ist sehr wohl bewußt, daß die beiden besser sind. Das habe ich ihnen auch bereits
in aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben.«
Zeller nahm ein paar Ampullen und Objektträger aus einem
Schrank und einem Kühlschrank und legte alles auf einen Arbeitstisch. »Falls Sie irgendwelche Fragen haben - ich bin dort,
wo Sie mich gefunden haben. Der Lichtschalter für das Mikroskop befindet sich hier an der Seite.«
Doch Graham war nicht an dem Mikroskop interessiert. Er
stellte Zellers Untersuchungsergebnisse nicht im geringsten in
Frage. Er wußte selbst noch nicht, was er eigentlich wollte. Er
hob die Ampullen und Objektträger gegen das Licht. Ebenso
verfuhr er mit zwei Zellophantaschen, von denen eine zwei in
Birmingham gefundene blonde Haare enthielt, eine zweite drei
Haare, die auf Mrs. Leeds’ Leiche entdeckt worden waren. Auf dem Tisch vor Graham befanden sich Speichel und Haar
und Sperma, doch dort, wo er sich ein Abbild, ein Gesicht, einfach irgend etwas vorzustellen versuchte, das die gegenstandslose
Beunruhigung in ihm hätte konkretisieren können, war nichts
als leere Luft.
In diesem Augenblick ertönte aus einem in die Decke eingebauten Lautsprecher eine Frauenstimme. »Mr. Graham, Mr. Will
Graham, bitte in Mr. Crawfords Büro. Dringend.« Dort saß Sarah, Kopfhörer übergestülpt, an der Schreibmaschine. Crawford linste ihr über die Schulter. »In Chicago haben sie inzwischen einen Anzeigenauftrag mit der
Zahlenkombination 666 entdeckt«, gab Crawford Graham zu
verstehen, ohne den Blick von Sarahs Schreibmaschine abzuwenden. »Sie geben sie gerade an Sarah durch. Ein Teil davon
soll wie ein Code aussehen.«
Die Zeilen ratterten aus Sarahs Schreibmaschine.
Geschätzter Pilger,
Sie lassen mir zuviel der Ehre zukommen...
»Das ist es. Das muß es sein«, platzte Graham heraus. »Lecter hat ihn im Lauf unserer Unterhaltung einmal als Pilger bezeichnet.«
Sie sind bewunderungswürdig...
»Allmächtiger«, stieß Crawford zwischen den Zähnen hervor.
Ich bringe 100 Gebete für Ihre Sicherheit dar.
Finden Sie Trost in Johannes 6:2.2, 8:16, 9:1; Lukas 1.7,3:1;
Galater 6:11,15:2; Apostelgeschichte 3:3; Geheime Offenbarung 18:7; Jonas.6:8...
Beim Abtippen der Bibelstellen kam Sarah merklich langsamer voran, da sie jede Zahlenangabe sofort wiederholte, um jeglichen Mißverständnissen vorzubeugen. Als sie schließlich fertig war, nahmen die Bibelstellen ein Viertel einer
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