Roter Drache
Schreibmaschinenseite ein. Unterzeichnet war das Ganze mit ›Gott segne Sie, 666.‹
»Das war’s«, erklärte Sarah.
Nun nahm Crawford den Hörer des Telefons ab und übernahm das Gespräch mit dem Mann in Chicago. »Tag, Chester, wie sind Sie mit dem Leiter der Anzeigenabteilung klargekommen? ... Nein, das war schon richtig so... Ein ziemlich unangenehmer Zeitgenosse also? Na ja, bleiben Sie noch einen Moment dran. Ich melde mich gleich noch mal.«
»Ein Code«, bemerkte Graham.
»Ja, das muß es wohl sein. Wir haben zweiundzwanzig Minuten Zeit, eine andere Nachricht in die Zeitung zu setzen, wenn es uns gelingt, ihn zu knacken. Der zuständige Mann in der Druckerei will zehn Minuten vorher Bescheid wissen und außerdem dreihundert Dollar, damit er die Anzeige noch in dieser Ausgabe unterbringt. Bowman ist in seinem Büro; bei Gericht haben sie gerade eine kurze Pause eingelegt. Falls du dir die Sache mal mit ihm vornimmst, werde ich mit der Chiffrierabteilung der CIA in Langley sprechen. Sarah, geben Sie sofort ein Telex mit dem Anzeigentext an die Chiffrierabteilung der CIA raus. Ich sage denen schon mal telefonisch Bescheid, was es damit auf sich hat.«
Bowman legte den Anzeigentext auf seinen Schreibtisch und richtete ihn exakt nach den Kanten seiner Schreibunterlage aus. Und dann war er erst einmal, wie es Graham schien, endlos lange damit beschäftigt, seine randlose Brille zu putzen. Bowman stand im Ruf, ein verdammt schneller Arbeiter zu sein.
»Wir haben zwanzig Minuten Zeit«, erklärte ihm Graham.
»Ich verstehe. Haben Sie schon mit Langley gesprochen?«
»Das übernimmt Crawford.«
Bowman las den Text mehrere Male durch, betrachtete ihn auf den Kopf gestellt und seitlich und fuhr mit dem Zeigefinger an seinem Rand entlang. Dann nahm er eine Bibel aus seinem Bücherregal. Fünf Minuten lang war dann nichts mehr zu hören als er Atem der beiden Männer und das Raschem von Dünndruckpapier.
»Nein«, schüttelte er schließlich den Kopf. »Wir werden es nicht rechtzeitig schaffen. Nutzen Sie die verbleibende Zeit lieber für etwas anderes.«
Graham reckte ihm seine leeren Handflächen entgegen.
Darauf schwenkte Bowman auf seinem Drehstuhl herum, nahm seine Brille ab und sah Graham an. Er hatte auf beiden Seiten seiner Nase einen roten Fleck. »Sind Sie einigermaßen sicher, daß Ihr Freund nur vermittels dieses Briefes Kontakt mit Lecter aufnehmen konnte?«
»Ja.«
»Demnach muß es sich um einen relativ simplen Code handeln. Zumal sie sich ja nur gegen ahnungslose Leser der Anzeige abzusichern gehabt hätten. Den perforierten Stellen des Toilettenpapiers nach zu schließen, hat Lecter nur ein etwa acht Zentimeter langes Stück aus dem Brief herausgerissen. Das ist nicht gerade viel Platz für ausführlichere Anweisungen. Jedenfalls handelt es sich bei den Ziffern nicht um den gängigen Klopfcode, wie er in den Gefängnissen weithin verbreitet ist. Deshalb tippe ich auf einen Buchcode.«
Crawford betrat das Büro. »Ein Buchcode?«
»Sieht zumindest ganz so aus. Bei der ersten Zahl, den ›100 Gebeten‹, könnte es sich um eine Seitenzahl handeln. Die Ziffernpaare der Bibelstellen könnten Zeile und Buchstabe kennzeichnen. Die Frage ist nur: aus welchem Buch?«
»Wieso nicht die Bibel?« warf Crawford ein.
»Nein, die Bibel sicher nicht, obwohl ich das auch selbst erst in Erwägung gezogen habe. Davon hat mich jedoch Galater 6:11 rasch abgebracht. ›Seht, welch langen Brief ich von eigener Hand an euch geschrieben habe.‹ Das klingt zwar durchaus treffend, wenn er nicht als nächstes Galater 15:2 angegeben hätte. Nun hat der Galaterbrief allerdings nur sechs Kapitel. Das gleiche gilt für Jonas 6:8; dieses Buch hat nur vier Kapitel. Eine Bibel hat er also mit Sicherheit nicht benutzt.«
»Vielleicht ist der Buchtitel im unverschlüsselten Teil von Lecters Nachricht enthalten«, machte Crawford geltend. Bowman schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht.« »Dann hat den Buchtitel also bereits die Zahnschwuchtel in ihrem Brief an Lecter genannt«, warf Graham ein.
»So scheint es zumindest«, nickte Bowman. »Könnte man Lecter diesbezüglich nicht etwas auf den Zahn fühlen? In einer Nervenheilanstalt sind doch Psychopharmaka -«
»Sie haben ihm vor drei Jahren schon mal Natriumamytal gegeben, als sie herauszufinden versuchten, wo er einen Princeton-Studenten vergraben hatte«, fiel ihm Graham ins Wort. »Allerdings hat er sie damit ganz schön baden gehen lassen. Außerdem erführe er dadurch,
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