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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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werden sollte.
Dein Baby ist nicht einmal ein
menschliches Wesen. Es hat kein Herz, keine Lunge, keinen Rumpf. Es ist nichts als ein schrecklich anzusehender Klumpen aus Fleisch und Zähnen.
    Zu Tobys Erleichterung fragte das Mädchen nicht weiter. Vielleicht hatte sie Angst, die ganze Wahrheit zu hören, den ganzen Horror über das, was da in ihrem Bauch heranwuchs.
    Toby beugte sich vor. »Molly, ich habe mit Dr. Dvorak geredet. Er sagt, es gab da eine Frau – du kennst sie –, die auch ein anomales Kind hatte.«
    »Annie.«
    »Hieß sie so?«
    »Ja.« Molly seufzte. Wenn Toby auch das Gesicht des Mädchens im Dunkeln nicht sah, ihre Mattigkeit hörte sie schon mitklingen, eine Erschöpfung, die über die physische Müdigkeit hinausging.
    Tobys Blick blieb an der verschwommenen Schattenlinie hängen, die das Gesicht des Mädchens abzeichnete. Sie gewöhnte sich an die Dunkelheit und konnte jetzt sogar ihre Augen leuchten sehen. »Dr. Dvorak hat die Sorge, daß du und Annie dem gleichen Toxin ausgesetzt gewesen sein könntet. Etwas, das euer beider Babys Entwicklung beeinflußt haben könnte. Ist das denkbar?«
    »Was meinen Sie mit … Toxin?«
    »Irgendeine Droge oder einen Giftstoff. Habt ihr beide, du und Annie, etwas bekommen? Pillen, Injektionen?«
    »Nur die Pillen, von denen ich Ihnen gesagt habe. Die Romy mir gegeben hat.«
    »Dieser Romy, hat er dir noch andere Drogen gegeben? Illegale?«
    »Nein. So ein Zeug habe ich nie genommen, wissen Sie, Annie habe ich auch nie etwas nehmen sehen.«
    »Wie gut hast du sie gekannt?«
    »Nicht sehr gut. Sie hat mich ein paar Wochen bei sich wohnen lassen.«
    »Ihr wart nur ein paar Wochen zusammen?«
    »Ich brauchte bloß einen Platz zum Schlafen.«
    Toby seufzte enttäuscht. »Dann kommen wir so nicht weiter.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Was immer die Ursache für die Anomalien bei euren Babys war, sie rührt von ganz früh in der Schwangerschaft her. Aus den ersten drei Monaten.«
    »Da habe ich Annie noch gar nicht gekannt.«
    »Wann hast du gewußt, daß du schwanger bist?«
    Das Mädchen dachte nach. Draußen hörten sie einen Arzneimittelwagen vorbeiquietschen und zwei Schwestern miteinander reden.
    »Das war im Sommer. Mir war schlecht.«
    »Warst du beim Arzt?«
    Schweigen. Toby sah die weiße Decke zittern, als schaudere das Mädchen darunter. »Nein.«
    »Aber du wußtest, daß du schwanger warst?«
    »Ja, sicher. Ich meine, das war nicht schwer zu erkennen, nach einiger Zeit. Romy sagte, er würde sich darum schon kümmern.«
    »Was meinst du mit
darum kümmern?
«
    »Es wegmachen lassen. Dann fing ich an, daran zu denken, wie schön es wäre, ein Baby zu haben. Mit ihm zu spielen. Es Mama zu mir sagen zu lassen …« Die Decke raschelte und wölbte sich, als das Mädchen die Hände auf ihren Bauch schob und ihn streichelte. Ihr ungeborenes Kind.
    Nur, es war kein Kind.
    »Molly, wer ist der Vater?«
    Wieder ein Seufzer, diesmal noch tiefer aus der Brust. »Ich weiß nicht.«
    »Könnte es dein Freund gewesen sein? Romy?«
    »Er ist nicht mein Freund. Er ist mein Lude.«
    Toby schwieg.
    »Sie wissen doch Bescheid über mich, nicht? Was ich tue? Was ich getan habe …« Molly drehte sich auf die andere Seite und kehrte Toby den Rücken zu. Ihre Stimme klang jetzt entfernt, wie aus großer Distanz. »Man gewöhnt sich daran. Man lernt, nicht allzusehr darüber nachzu-denken. Man kann gar nicht daran denken. Der Kopf macht einfach nicht mit, verstehen Sie? Die Gedanken wandern ganz woandershin. Und was da zwischen deinen Beinen passiert, das passiert nicht wirklich
dir
…« Sie lachte geringschätzig. »Ein interessantes Leben.«
    »Nicht sehr gesund.«
    »Ja. Stimmt.«
    »Wie alt bist du?«
    »Sechzehn. Sechzehn bin ich.«
    »Du kommst aus dem Süden, nicht?«
    »Ja, Ma’am.«
    »Wie bist du nach Boston gekommen?«
    Ein langer Seufzer. »Romy hat mich mitgenommen. Er war bei uns in Beaufort, bei Freunden. Er hatte dieses gewisse Etwas, wissen Sie? Diese tiefschwarzen Augen. Ich hatte noch nie einen weißen Jungen mit so dunklen Augen gesehen. Er war so nett zu mir …« Sie räusperte sich, und Toby hörte das Leintuch rascheln, als Molly es hochzog, um sich die Tränen abzuwischen. Die I.v.-Flasche baumelte silbern glänzend über dem Bett.
    »Aber dann war er wohl nicht mehr so nett zu dir, als er dich mit nach Boston genommen hatte.«
    »Nein, Ma’am. Das war er nicht.«
    »Warum bist du nicht wieder heimgefahren, Molly? Nach Hause kann man

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