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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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immer.«
    Sie bekam keine Antwort. Nur am Zittern des Betts merkte Toby, daß das Mädchen innerlich schluchzte. Nach draußen drang kein Laut. Es war, als sei ihre Traurigkeit in einem Gefäß gefangen, ihr Weinen unhörbar für alle außer ihr selbst.
    »Ich kann dir helfen, wenn du nach Hause willst. Wenn du Geld brauchst, um dich auf den Weg zu machen …«
    »Ich kann nicht.« Die Antwort war kaum ein Flüstern. Das Mädchen rollte sich unter den Decken zusammen. Toby hörte einen leisen Klagelaut, mit dem Mollys Schmerz sich Luft machte. »Ich kann nicht. Ich kann nicht …«
    »Molly.«
    »Sie wollen mich nicht mehr.«
    Toby streckte die Hand nach ihr aus und konnte noch durch die Decke spüren, wie der Schmerz sie verkrampfte.
    Es klopfte an der Tür.
    »Toby, kann ich Sie sprechen?« sagte Dvorak.
    »Jetzt gleich?«
    »Es wäre, glaube ich, gut, wenn Sie kurz herauskämen und sich das anhörten.« Er zögerte und sah zu Molly in ihrem Bett. »Es ist wegen des Sonogramms.«
    »Ich bin gleich zurück«, murmelte Toby zu dem Mädchen, ging nach draußen und zog die Tür hinter sich zu.
    »Hat sie Ihnen irgend etwas gesagt?« fragte er.
    »Nichts, was uns weiterbrächte.«
    »Ich versuche es noch einmal später.«
    »Da werden Sie wohl auch nichts herausbekommen. Männern scheint sie nicht zu trauen, und der Grund liegt auf der Hand. So oder so, es gibt zu viele Gründe, die zu fötalen Abnormitäten führen können. Das Mädchen kann nicht den kleinsten Hinweis geben.«
    »Das hier ist mehr als eine bloße fötale Abnormität.«
    »Woher wissen Sie das?«
    Er zeigte auf ein kleines Besprechungszimmer am Ende des Gangs. »Ich möchte, daß Sie mit einer Kollegin sprechen. Sie kann Ihnen das besser erklären.«
    Dvorak hatte von einer
Sie
gesprochen, aber als Toby in das Zimmer trat und die Person vor dem Monitor sitzen sah, wirkte sie von hinten mehr wie ein Mann – stahlgraues Haar, kurzgeschnitten. Braunes Oxfordhemd, breite Schultern. Über dem Monitor liefen langsam die Aufnahmen von Mollys Bauch.
    »Ich dachte, Sie hätten das Rauchen aufgegeben?« sagte Dvorak.
    Die Person schwenkte auf dem Drehstuhl herum. Sie
war
eine Frau. Anfang Sechzig, ziemlich direkter Blick aus blauen Augen, glattes Gesicht, ohne jede Andeutung von Make-up. Die unwillkommene Zigarette steckte in einer Elfenbeinspitze, die sie mit lässiger Eleganz hielt.
    »Das ist das einzige Laster, das ich habe«, sagte die Frau. »Und ich weigere mich, es aufzugeben.«
    »Dann zählt also der Scotch nicht dazu.«
    »Scotch ist kein Laster. Scotch dient der Stärkung.« Die Frau wandte sich Toby zu und hob eine Augenbraue.
    »Das ist Dr. Toby Harper«, sagte Dvorak. »Und das ist Dr. Alexandra Marx. Dr. Marx ist Entwicklungsgenetikerin an der Boston University. Eine meiner Professorinnen aus dem Medizinstudium.«
    »Was
reichlich
lange her ist«, sagte Dr. Marx. Sie schüttelte Toby die Hand, eine Geste, die man als Frau nicht von einer anderen erwartete, aber bei ihr schien es völlig normal.
Hallo, ich bin Alex Marx.
»Ich habe mir das Sonogramm gerade noch einmal angesehen. Was weiß man denn von diesem Mädchen?«
    »Ich habe gerade mit ihr gesprochen«, sagte Toby. »Sie ist sechzehn. Prostituierte. Sie weiß nicht, wer der Vater ist. Und sie streitet jede Berührung mit Toxinen ab. Die einzigen Medikamente, die sie genommen hat, waren diese Pillen in dem Fläschchen.«
    »Ich habe mich mit dem Pharmazeuten hier im Kranken-haus unterhalten«, sagte Dvorak. »Er hat sich den Code an-geschaut, der in die Tabletten geprägt war. Prochlor-perazin.« Er sah Dr. Marx an. »Sie werden gewöhnlich gegen Übelkeit verschrieben. Von Nebenwirkungen mit Folgen für den Fötus ist nichts bekannt. Die Pillen können es also nicht gewesen sein.«
    »Wie kommt dieser Zuhälter an verschreibungspflichtige Medikamente?« fragte Toby.
    »Heutzutage bekommst du auf der Straße alles. Vielleicht sagt sie nicht, was sie sonst noch für Sachen einnimmt.«
    »Nein, ich glaube ihr«, sagte Toby.
    »Im wievielten Monat ist sie?«
    »Ihrer Erinnerung nach vielleicht im fünften oder sechsten.«
    »Was wir hier vor uns sehen, ist ein Fötus im zweiten Trimenon.«
    Dr. Marx schwenkte wieder zum Monitor herum. »Da sieht man eindeutig die Plazenta. Das da ist Fruchtwasser. Und was ich dort sehe, halte ich für eine Nabelschnur.« Dr. Marx beugte sich vor und studierte genau, was an ihr vorbeiflimmerte. »Ich glaube, Sie haben recht, Daniel. Das ist kein

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