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Roter Engel

Roter Engel

Titel: Roter Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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einordnen konnte. Vielleicht ein Anflug von ängstlicher Besorgnis.
    »Fast alle sind schon in den Feierabend verschwunden«, sagte er. »Und deswegen ist es hier jetzt tatsächlich so ruhig wie in einem Leichenschauhaus.«
    »Ich habe mich bemüht, so schnell wie möglich herzukommen. Aber wegen des Pflegers ging es nicht eher.«
    »Dann haben Sie also Kinder?«
    »Nein, den Pfleger brauche ich für meine Mutter. Ich kann sie nicht mehr allein lassen.«
    Sie gingen die Treppe hinauf, Dvorak mit um seine langen Beine wehendem Kittel ein Stückchen voran. »Tut mir leid, daß ich Sie so kurzfristig sprechen muß.«
    »Erst haben Sie alle meine Anrufe abwimmeln lassen, und dann sollte es plötzlich gleich sein. Warum?«
    »Ich brauche Ihre Meinung aus klinischer Sicht.«
    »Ich bin keine Pathologin.
Sie
haben die Autopsie durchgeführt.«
    »Aber Sie haben ihn untersucht, als er noch lebte.«
    Er stieß die Tür zum ersten Stock auf und ging mit so nervöser Energie voraus, daß Toby Mühe hatte, Schritt zu halten.
    »Man hat seinerzeit einen Neurologen hinzugezogen«, sagte sie. »Haben Sie nicht mit ihm gesprochen?«
    »Er hat mit seinen Untersuchungen erst begonnen, als der Patient bereits komatös war. Da gab es nur noch wenige feststellbare Symptome, bei denen man ansetzen konnte. Außer dem Koma selbst.«
    »Was ist mit Wallenberg? Er war der behandelnde Arzt.«
    »Wallenberg bleibt dabei, daß es ein Schlaganfall war.«
    »Und? War es einer?«
    »Nein.« Er öffnete eine Tür und knipste das Licht an. Sie betraten ein zweckmäßig möbliertes Büro: Metallschreibtisch, Metallstühle, Metallaktenschrank. Das Büro eines durch und durch organisierten Menschen, dachte Toby und musterte die ordentlich gestapelten Papiere und aufgereihten Fachbücher in den Regalen. Die einzige persönliche Note brachten ein offensichtlich vernachlässigter Farn im Blumentopf auf dem Aktenschrank und ein Foto auf dem Schreibtisch herein. Ein Junge im Teenageralter mit strähnigen Haaren, der in die Sonne blinzelte und eine Forelle als Trophäe in die Kamera hielt. Er war Dvorak wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie setzte sich vor dem Schreibtisch in den Besuchersessel.
    »Möchten Sie einen Kaffee?« fragte er.
    »Lieber würde ich von Ihnen was hören. Was hat denn nun die Autopsie genau ergeben?«
    »Der erste Durchgang hat gar nichts gebracht.«
    »Keinen Hinweis auf einen Schlaganfall?«
    »Weder eine Thrombose noch eine Blutung.«
    »Und das Herz? Die Herzkranzgefäße?«
    »Total frei. Ich habe noch nie bei einem Mann in seinem Alter eine sauberere Kranzarterie gesehen. Kein Hinweis auf einen Infarkt, weder einen frischen noch einen überstandenen. Es war kein Herztod.« Er setzte sich hinter den Schreibtisch und sah sie durchdringend an, daß sie sich zwingen mußte, dem Blick nicht auszuweichen.
    »Toxikologischer Befund?«
    »Das Ganze ist erst eine Woche her. Nach dem ersten Raster: Diazepam und Dilatin. Beides wurde im Hospital zur Behandlung seiner Anfälle verabreicht.« Er beugte sich vor.
    »Warum haben Sie auf einer Autopsie bestanden?«
    »Das sagte ich Ihnen bereits. Er war damals der zweite Patient mit den gleichen Symptomen. Und da wollte ich eine genaue Diagnose haben.«
    »Sagen Sie mir noch einmal, was das für Symptome waren. Alle, an die Sie sich erinnern.«
    Es fiel ihr schwer, sich unter dem intensiv auf sie gerichteten Blick zu konzentrieren. Sie lehnte sich zurück, fixierte den Stapel Papiere auf seinem Schreibtisch und räusperte sich. »Akute Zustände von Verwirrtheit«, sagte sie. »Und zwar bezüglich Ort wie Zeit; beide wurden völlig desorientiert bei uns eingeliefert.«
    »Erzählen Sie mir zuerst von Mr. Parmenter.«
    Sie nickte. »Die Ambulanz brachte ihn zu uns, nachdem seine Tochter ihn zu Hause vorgefunden hatte, wie er durch seine Wohnung taumelte. Er erkannte weder sie noch seine Enkelinnen. Soweit ich es verstanden habe, hatte er visuelle Halluzinationen. Er dachte, er könne fliegen. Bei der Untersuchung habe ich keine Hinweise auf ein Trauma gefunden. Die einzige neurologische Anomalie zeigte der Finger-Nasen-Test. Zuerst dachte ich an einen Hirnschlag. Aber da gab es eben noch andere, für mich unerklärliche Symptome.«
    »Als da wären?«
    »Er hatte anscheinend Sehstörungen und konnte zum Beispiel nicht richtig abschätzen, wie weit entfernt ich von ihm stand.«
    Sie runzelte die Stirn. »Ach, das erklärt auch die Zwerge.«
    »Wie bitte?«
    »Er beschwerte sich über die Zwerge in

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