Roter Engel
durch ein paar andere.«
»Sicheres wissen Sie nicht?«
»Ich bin an den Versuchen nicht beteiligt. Ich kümmere mich nur um die Pflegefälle. Hören Sie, das alles ist im Moment nicht mehr als ein Stochern im Nebel. Niemand weiß, was wirklich anschlägt. Das einzige, was wir wissen, ist die Tatsache, daß unsere Hypophyse aufhört, gewisse Hormone zu produzieren, wenn wir älter werden. Vielleicht gibt es das Hormon als Quelle der ewigen Jugend, und wir haben es nur noch nicht gefunden.«
»Also spritzt Wallenberg Ersatzhormone.« Sie lachte. »Im wahrsten Sinne des Wortes als Schüsse im Dunkeln.«
»Vielleicht kommt ja etwas dabei heraus. Soviel ich sehe, schwirren auf dem Golfplatz von Brant Hill ein paar ganz flotte Achtzigjährige herum.«
»Lauter wohlhabende, trainingswütige und sorglos dahinlebende.«
»Na ja, wer weiß … Es mag ja sein, daß die beste Vorsorge für ein langes Leben ein gesundes Bankkonto ist.«
Toby blätterte den Artikel durch und legte ihn auf den Kaffeetisch zurück. Noch einmal machte sie sich das Erscheinungsdatum bewußt. »Seit neunzehnhundertneunzig spritzt er diese Hormone und hat noch keinen einzigen Fall von Creutzfeldt-Jakob registriert?«
»Die Versuchsreihe am Rosslyn ist über vier Jahre gelaufen. Dann ist er nach Brant Hill gekommen und hat seine Studien hier wieder aufgenommen.«
»Warum hat er Rosslyn verlassen?«
Brace lachte. »Warum wohl?«
»Geld.«
»Hey, aus dem Grund bin auch ich nach Brant Hill gegangen. Ordentlicher Gehaltsscheck, kein Ärger mit den Versicherungen. Und Patienten, die wirklich auf meinen Rat hören.« Er sah sie an. »In Wallenbergs Fall sagt man, es waren noch andere Dinge im Spiel. Bei der letzten Geriatrie-Konferenz, die ich besuchte, machten einige Gerüchte die Runde. Über Wallenberg und ein weibliches Mitglied des Mitarbeiterstabs am Rosslyn.«
»Ja, wenn es nicht ums Geld geht, dann ist es der Sex.«
»Was denn sonst?«
Sie dachte an Carl Wallenberg im Smoking, diesen jungen Löwen mit seinen bernsteinfarbenen Augen, und konnte sich schon vorstellen, daß er auch ein Objekt weiblicher Begierde war. »Er hatte also eine Affäre mit einer Mitarbeiterin«, sagte sie. »Das ist ja nichts besonders Aufregendes.«
»Ist es schon, wenn gleich drei Personen in die Geschichte verwickelt sind.«
»Wallenberg, die Frau, und wer noch?«
»Ein anderer Arzt am Rosslyn, ein Mann. Soviel ich mitbekommen habe, war diese Dreiecksgeschichte für alle eine ziemlich zermürbende Angelegenheit, und alle drei haben dann auch gekündigt. Wallenberg ging nach Brant Hill und forschte hier weiter. Jedenfalls sind es jetzt volle sechs Jahre, daß er seine Hormone verabreicht, und zwar ohne katastrophale Nebenwirkungen.«
»Und ohne einen Fall von Creutzfeldt-Jakob.«
»Nirgends wird einer erwähnt. Nächste Frage, Dr. Harper.«
»Okay, wie könnten sich die beiden Männer sonst noch infiziert haben? Durch einen chirurgischen Eingriff, beispielsweise. Ein kleinerer genügt schon, etwa eine Hornhautverpflanzung. Die Operation könnten Sie bei der Durchsicht Ihrer Krankengeschichten übersehen haben.«
Brace seufzte hörbar. »Wieso hängen Sie sich eigentlich so in die Sache hinein? Mir sterben meine Patienten ständig weg, ohne daß mich das derart mitnehmen könnte.«
Jetzt seufzte auch sie und ließ sich in das Sofa zurückfallen.
»Ich weiß, es ändert im Grunde nichts. Ich weiß, daß Harry Slotkin vermutlich tot ist. Aber wenn er tatsächlich Creutzfeldt-Jakob hatte, als ich ihn untersuchte, dann lag er zu dem Zeitpunkt bereits so gut wie im Sterben. Und nichts von dem, was ich unternommen habe, hätte ihn retten können.« Sie sah Brace an. »Vielleicht bin ich dann gar nicht so verantwortlich für seinen Tod.«
»Es ist also das Schuldbewußtsein, nicht?«
Sie nickte. »Und ein gutes Stück Selbsterhaltungstrieb. Der von Harrys Sohn beauftragte Anwalt betreibt bereits meine Entlassung aus dem Stab der Notaufnahme. Ich glaube nicht, daß ich überhaupt eine Einschaltung der Gerichte verhindern kann. Doch wenn ich beweisen könnte, daß Harry schon an einer tödlichen Krankheit litt, als man ihn einlieferte …«
»Dann würde das Gericht den Fall als nicht so schwerwiegend ansehen.«
Sie nickte. Und schämte sich zugleich.
Ihr Dad lag bereits im Sterben, Mr. Slotkin. Was wollen Sie also?
»Wir wissen nicht, ob Harry tot ist«, sagte Brace.
»Er ist jetzt seit einem Monat vermißt. Was könnte denn sonst mit ihm sein? Die Frage
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