Roter Engel
Bestätigung durch einen Neuropathologen steht noch aus. Aber die Symptome weisen sehr in diese Richtung. Nicht nur bei Parmenter. Auch bei Harry Slotkin.«
»Zwei Fälle von Creutzfeldt-Jakob? Das ist, wie wenn zweimal der Blitz an derselben Stelle eingeschlagen wäre. Wie läßt sich das untermauern?«
»Okay, bei Harry können wir das nicht, weil es keine Leiche gibt. Aber was ist, wenn zwei Bewohner von Brant Hill tatsächlich Creutzfeldt-Jakob hatten? Da fragt man sich doch, ob es dort einen generellen Infektionsherd gibt.« Sie beugte sich vor. »Sie sagten, Harrys Patientenunterlagen wiesen ihn als völlig gesund aus.«
»Das stimmt.«
»Ist er in den letzten fünf Jahren einmal an irgend etwas operiert worden? Zum Beispiel eine Hornhaut-transplantation?«
»Ich kann mich an nichts dergleichen in seiner Akte erinnern. Aber ich kann mir schon vorstellen, daß man sich so die Creutzfeldt-Jakobsche Krankheit einfangen könnte.«
»Es gibt entsprechende Berichte.« Sie dachte nach. »Sie kann auch noch anders übertragen werden. Etwa durch die Injektion von menschlichen Wachstumshormonen.«
»Tatsächlich?«
»Sie sagten, Brant Hill betreibt Studien über die Verabreichung von Hormonen an ältere Menschen. Und Sie sagten weiter, Ihre Patienten hätten eine Zunahme der Muskulatur aufgewiesen.
Ist es möglich, daß man bei ihnen verunreinigte Wachstumshormone gespritzt hat?«
»Wachstumshormone werden heutzutage nicht mehr aus toter Hirnmasse gewonnen. Sie werden künstlich hergestellt.«
»Könnte es sein, daß Brant Hill noch alte Vorräte benutzt? Wachstumshormone, die mit Creutzfeldt-Jakob infiziert sind?«
»Die alten Bestände sind schon lange vom Markt. Und Wallenberg macht diese Versuche schon seit Jahren, seit er am Rosslyn Institute war. Ich habe nie von Creutzfeldt-Jakob bei einem seiner Patienten gehört.«
»Das Rosslyn Institute kenne ich nicht. Worum handelt es sich dabei?«
»Es ist ein geriatrisches Forschungszentrum in Connecticut.
Wallenberg hat dort gearbeitet, bevor er nach Brant Hill kam.
Verschaffen Sie sich mal einen Überblick über die Literatur zur Geriatrie – da kommt einiges an Studien aus dem Rosslyn Institute zusammen. Und ein halbes Dutzend davon trägt den Namen von Wallenberg als Autor. Er ist so etwas wie der Hormon-Guru für die ältere Generation.«
»Das habe ich nicht gewußt.«
»Um das zu wissen, muß man in die Geriatrie eingelesen sein.«
Er stand auf, ging nach nebenan und kam mit einer Handvoll Papiere zurück, die er vor Toby auf den Kaffeetisch legte.
Obenauf lag ein fotokopierter Artikel aus dem
Journal of the American Geriatrics Society
von 1992. Als Verfasser waren drei Namen genannt, an erster Stelle Wallenberg. Der Titel lautete:
»Jenseits des Hayflick-Limits: Ausdehnung der Langlebigkeit auf der Zellularebene.«
»Das ist ein Beitrag zur Grundlagenforschung«, sagte Brace.
»Man setzt bei der maximalen Lebensdauer einer Zelle – dem sogenannten Hayflick-Limit – an und versucht, sie durch hormonelle Beeinflussung zu verlängern. Wenn man davon ausgeht, daß Altern und Tod ein zellulärer Prozeß sind, ist die Zielrichtung klar: Verlängerung des zellulären Lebens.«
»Aber ein gewisses Ausmaß von Zellsterben ist notwendig für den Erhalt der Gesundheit.«
»Sicher. Wir stoßen fortwährend tote Zellen ab, über die mukösen Membrane und die Haut. Aber die regenerieren wir wieder.
Was wir nicht regenerieren, sind die Zellen im Knochenmark, im Gehirn und anderen vitalen Organen. Die werden alt und sterben ab. Und am Ende sterben wir selbst.«
»Und mit diesen hormonellen Eingriffen?«
»Darum geht es in der Studie. Welche Hormone – oder welche Kombinationen – verlängern die Lebensspanne? Darüber forscht Wallenberg seit 1990. Und er hat einige vielversprechende Resultate vorzuweisen.«
Sie sah zu ihm auf. »Zum Beispiel diesen Mann in dem Pflegezentrum – den, der so gut in Form war?«
Brace nickte. »Er hat wahrscheinlich die Muskulatur und die Kraft eines viel jüngeren Mannes. Leider hat der Alzheimer sein Gehirn zerstört. Dagegen helfen keine Hormone.«
»Über welche Hormone reden wir? Sie erwähnten eine Kombination.«
»Die anerkannten Forschungsergebnisse weisen auf die Chancen, die im Wachstumshormon stecken. Dehydroepiandrosteron, Melatonin und Testosteron. Ich glaube, Wallenbergs derzeit laufenden Versuche arbeiten mit verschiedenen Zusammensetzungen und Dosierungen dieser Hormongaben, vielleicht ergänzt
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