Roter Herbst - Kriminalroman
Urplötzlich hatte sie wieder das schrille Geräusch der Motorsäge im Ohr, die sich in das tote Holz des Baumes fraß.
Der Gedanke an professionelle Killer, die mit einer Kettensäge durch die Lande zogen, hatte etwas Gespenstisches und zugleich extrem Absurdes. ›The Texas Chain Saw Massacre‹ in biederer Moorlandschaft.
»Da ist noch etwas.« Wieder funkelten Mannteufels Augen diabolisch auf. »Paula hat noch etwas gefunden.«
Paula war seine Assistentin, knappe 30 und recht ansehnlich. Im Kommissariat ging das Gerücht, dass sie etwas mit Mannteufel hatte. Allerdings wusste niemand Genaues.
»Etwas ist ihr bei seinen Zähnen aufgefallen.«
»Lass hören«, sagte Amanda.
»Der Mann muss schon mal in Amerika gewesen sein. Zumindest wurden seine Zähne irgendwann in der Vergangenheit von einem amerikanischen Zahnarzt versorgt. Kronen und Füllungen in seinem Gebiss lassen jedenfalls auf eine Zahnbehandlung in den USA schließen. Das muss aber schon einige Zeit her sein.«
»Gibt es da Unterschiede?«
»Natürlich. Das ist kein Unterschied wie Tag und Nacht, aber dennoch nachweisbar.«
Amanda Wouters seufzte leicht. Einen Moment lang dachte sie an Pericles Johnson, ihren schwarzen Schatten. Wo er nur steckte. Sie hatte ihn während der Feiertage nicht zu Gesicht bekommen und die ganze Zeit nicht mehr an ihn gedacht. Dann schob sie jedoch den Gedanken beiseite und versuchte, sich wieder auf den Gerichtsmediziner zu konzentrieren.
»Also, du denkst, da waren Profis am Werk? Leute aus dem Milieu?«
Mannteufel verzog das Gesicht, sagte aber nichts.
»Wenn das wirklich Profis gewesen sind, dann hätten sie doch nie und nimmer zugelassen, dass man die Leiche anhand der Zähne identifizieren kann, oder? Warum haben sie dem Mann die Zähne nicht ausgeschlagen? Seine Hände haben sie doch auch abgehackt und entsorgt …«
»Na ja«, meinte Mannteufel. »Noch ist der Mann nicht identifiziert, aber vielleicht hast du recht. Oder die Jungs mit den dicken Muckis sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Andererseits, es gehört schon einiges dazu, einem Menschen die Zähne einzuschlagen. Selbst wenn er tot ist.« Als er lachte, hallte es in dem hellen Raum, und Amanda schaute ganz erschrocken drein. Jemand, der tote Menschen aufschlitzte, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen, musste einen schrägen Humor haben, dachte sie. Sie nickte matt. Manches will man sich einfach nicht vorstellen.
Bevor sie ihr Büro betrat, ging Amanda bei Ada am Empfang vorbei. Sie wollte sie nach dem Amerikaner fragen, aber Ada telefonierte gerade, den Hörer graziös zwischen Wange und Schulter geklemmt, um ihre frisch lackierten Fingernägel, die sie von sich gestreckt prüfte, nicht zu ruinieren. Es roch nach Nagellack und leicht nach Zigarettenrauch. Ada lächelte ihr über die Fingernägel hinweg zu. Amanda lächelte etwas säuerlich zurück, seufzte und ging.
Die Tür zu ihrem Büro war nur angelehnt. Der Amerikaner stand am Fenster, eine Zigarette zwischen den Fingern. Das Fenster war geschlossen, und Rauchschwaden hingen im Raum. Er zwinkerte kurz, als Amanda eintrat und blies Rauch zur Decke. Völlig entspannt und ohne jedes Zeichen eines schlechten Gewissens. Offensichtlich hatte er kein Problem damit, gegen das deutsche Rauchverbot in Behördenräumen zu verstoßen. Gerade er als Amerikaner … Im Grunde, dachte Amanda, benahm er sich beinahe flegelhaft. Sie gab ihm die Hand, wobei sie ihn unverhohlen musterte. Sie musste den Kopf heben, um ihm in die Augen zu sehen. Sanfte Augen, hinter denen ein Lächeln lag. Mehr als dieses Lächeln war nicht zu erkennen. Höchstens eine leise Melancholie. Da war sie sich aber nicht sicher.
Als er sich umblickte, reichte sie ihm eine Kaffeetasse, die seit einer Ewigkeit auf ihrem Schreibtisch stand. Ohne Hast drückte er seine Zigarette darin aus.
»Schreckliches Laster«, meinte er und Amanda stimmte ihm zu.
»Tut mir leid«, sagte sie dann. »Ich habe mich noch nicht so recht um Sie kümmern können.«
»Kein Problem. Man hat mir mitgeteilt, dass Sie an einem Mordfall arbeiten, der Sie auf Trab hält.«
Angenehme Stimme, mit tief in der Kehle gebildeten R-Lauten, die die amerikanische Herkunft des Mannes nicht verleugnen konnten. Dazu aber ein grammatikalisch einwandfreies Deutsch, das im Gegensatz zu seinem deutlich hörbaren Akzent stand. Wie Henry Kissinger in seinen besten Tagen.
Amanda setzte sich und kam sich sofort klein und schmächtig vor. Kein schlechtes
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