Roter Herbst - Kriminalroman
meine …« Sie verstummte.
»Was hat er für einen Leben geführt? Hat er Frau und Kinder? Oder hat er sich eher zu Männern hingezogen gefühlt? All dies.«
»Genau.«
Gerade als Varga mit Elan aus ihrem Büro stürmte, kam Johnson herangeschlendert. Wie immer hatte er eine Zigarette im Mund.
»Wir wissen jetzt, wer der Tote ist«, empfing ihn Amanda. »Unsere Moorleiche hat einen Namen.«
»Großartig«, sagte der Amerikaner. Die R-Laute rollten dumpf und die Narbe in seinem Gesicht zog sich leicht auseinander. Sie funkelte rot, als er an seiner Zigarette zog. Dabei hatte es den Anschein, als würde ihn die Nachricht nicht sonderlich bewegen. »Wie heißt er denn?«
»Aaron Rosenberg.«
»Ein jüdischer Name«, meinte er daraufhin. Er lächelte etwas und suchte nach einem Aschenbecher. Amanda reichte ihm wieder die Kaffeetasse. Dann öffnete sie das Fenster. Es war kühl und der Wind riss an den Baumkronen.
»Irgendwann wirst du dich noch zu Tode rauchen«, brummte sie.
Johnson lachte nur.
Die Nachricht vom Tod der Marlies Berger verbreitete sich im Dorf in Windeseile und auch in der Stadt, in M., gab es viele, die die Marlies früher gekannt hatten. Damals, als sie das Gymnasium kurz vor dem Abitur Hals über Kopf verlassen hatte, hatte sie eine ganze Weile im Mittelpunkt der Gespräche und der Gerüchte gestanden, die durch das biedere Städtchen geschwappt waren. Die Leute hatten sich das Maul zerrissen und man hatte gerätselt, was sie dazu bewogen hatte, auf und davon zu laufen. Die meisten waren davon überzeugt gewesen, dass sie wegen eines Mannes gegangen war, nur der alte Mietzner, der Pedell an der Schule und damals noch keine 50, hatte eine andere Theorie verfolgt.
»Das ist etwas Politisches«, hatte er des Öfteren mit geheimnisvollem Blick geäußert, ohne dies näher zu erklären.
Nur einmal hatte er etwas hinzugefügt. »Die Marlies ist doch eine von diesen Haschrebellen, die alles zerdeppern wollen. Und das bei ihrem Alten … Das bringt den noch ins Grab. Der hasst die Gammler, mit denen das Mädchen herumzieht.«
Die meisten hatten darüber gelächelt, hatten es jedoch nicht ganz ausschließen wollen, dass der alte Mietzner irgendwo recht hatte. Viele hatten den Berger und seine starren politischen Ansichten, die er zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit geäußert hatte, nicht gemocht, und sie hatten es insgeheim genossen, dass gerade er bei der Erziehung seiner Tochter so kläglich gescheitert war. Offen wurde das aber nie ausgesprochen, war doch für viele Familien der Geist einer neuen Zeit zu einer gleichsam in der Luft mitschwingenden Gefahr geworden. Man war sich durchaus bewusst, dass es auch in der eigenen Idylle vergleichbare Verwerfungen geben könnte.
Von all den Gerüchten, die sich um Marlies Berger und ihren geheimnisvolle Abschied gerankt hatten, hatte Amanda nur wenig mitbekommen. Damals war sie einfach noch zu jung gewesen und die Erwachsenen hatten sich gehütet, mit ihren Kindern über Dinge zu sprechen, die sie, wie sie meinten, noch nichts angingen. Dennoch war ihr nicht entgangen, was unter den Schülern der höheren Klassen getuschelt wurde. Von Hasch und vom Leben in Kommunen, freiem Sex und freier Liebe war die Rede gewesen. »Die bumst doch mit jedem«, hieß es unter den Mitschülern. Daran konnte sie sich noch gut erinnern. Und auch daran, dass sie richtig neidisch gewesen war.
Schon seltsam, ging es ihr durch den Kopf, dass die Marlies ausgerechnet jetzt sterben musste. Sie war doch gar nicht so alt. Ein Tod vor der Zeit, wie ihre, Amandas Mutter, gesagt hätte. Woran sie wohl gestorben war? Vielleicht an Rauschgift. Die Frage schien ihr wichtig, selbst wenn die Art und Weise ihres Todes vielleicht keinen großen Unterschied machte. Tot ist tot, musste sie sich eingestehen. So war das eben. Und doch blieb ein leises Unbehagen, das sie sich nicht so recht erklären konnte.
Für den alten Berger und seine Frau musste das Ganze schlimm sein. All die Jahre der Ungewissheit, wie es ihrer Tochter ging, und dann aus heiterem Himmel eine solche Nachricht. Das verhärmte Gesicht von Christa Berger kam ihr in den Sinn. Wie sie sie angeblickt hatte, als sie den Martin verhört hatte. Ob sie und ihr Mann damals vielleicht schon gewusst hatten, wie es um ihre Tochter stand?
Amandas Gedanken waren zurück in die Vergangenheit gewandert und schließlich wieder in die Gegenwart zurückgekehrt. Geblieben war ein Gefühl, dass irgendetwas am Tod der
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