Roter Herbst - Kriminalroman
gehetzt, als sei er auf dem Sprung zu einem wichtigen Termin. Der weiße Schurz, den er trug, zeigte Spuren schwarzen Blutes, ebenso wie die Latexhandschuhe, die bis zu seinen Ellbogen reichten. Es roch nach Krankenhaus und einem starken Desinfektionsmittel.
»Muss schwierig gewesen sein, ihn auf den Baum zu zerren«, brummte er. Der Gerichtsmediziner lehnte an einer der Arbeitsbänke im Labor. Rostfreier Stahl unter dem blauen Licht starker Halogenlampen. Offenkundig hatte er die Obduktion der Leiche noch immer nicht abgeschlossen. Der Brustkorb des Mannes, der halb verdeckt hinter ihm lag, war geöffnet. Wie es schien, war Mannteufel gerade dabei gewesen, der Leiche die inneren Organe zu entnehmen. Amanda schluckte, als sie den langen, hässlichen Schnitt vom Hals bis zum Schambein sah. Verschiedene Schläuche und Zangen ragten aus dem Torso hervor. Sie vermied es, in die Schüsseln zu blicken, die auf einem weiteren Arbeitstisch standen. Daneben eine stählerne Säge, die sie an einen feinen Winkelschleifer erinnerte. Sicher würde Mannteufel noch den Schädel des Mordopfers öffnen. Sie hatte nicht vor, lange zu bleiben.
»Es ist mir sowieso ein Rätsel, wie sie das geschafft haben. Tote Körper sind verdammt schwer. Selbst die von alten Männern.«
»Hat er Widerstand geleistet?«, fragte Amanda.
»Wohl nicht. Nichts, was wir feststellen konnten.«
»Was ist passiert?«
»Das rauszufinden, ist dein Job.« Er funkelte Amanda provozierend an und starrte auf ihre Brüste. Sie fühlte sich unwohl, war in einigem Abstand stehen geblieben und beschloss, seine miese Laune einfach zu ignorieren.
»Und du bist sicher, es waren mehrere, die ihn …«
»Keine Frage. Ein Einzelner würde das nie im Leben schaffen.«
»Was ist mit dem Draht, mit dem er festgebunden war?«
»Ganz normaler Draht, wie du ihn auf jedem Hof, in jeder Gärtnerei oder Werkstatt hier in der Gegend findest.«
»Andere Spuren? DNA?«
Er zuckte mit der Schulter, aber Amanda ging davon aus, dass er ohnehin bereits Proben an das Kriminaltechnische Labor in der Landeshauptstadt geschickt hatte.
»Was ist deiner Ansicht nach passiert?«, fragte sie. Sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er sich nicht scheute, detaillierte Ausführungen zu machen, auch wenn diese oftmals eher spekulativ waren.
»Die Obduktion ist noch nicht endgültig abgeschlossen«, sagte er. »Aber es ist ja offenkundig, dass er vor seinem Tod gefoltert wurde. Und, wie schon gesagt … ich vermute, dass dabei Profis am Werk gewesen sind.«
»Hm. Warum?«
»Es ist nicht so einfach, mit Strom zu foltern, verstehst du. Es ist vor allem eine Frage der richtigen Dosierung. Sonst geht das Opfer hops, noch ehe man sein Ziel erreicht hat …«
Amanda schwieg.
»Natürlich sind das nur Vermutungen.«
»Natürlich«, sagte Amanda. Ihre Gedanken wanderten. Warum sie ihn wohl gefoltert hatten? Die zentrale Frage.
Sie versuchte, sich vorzustellen, wie der Mann gelitten hatte, bevor ihn der Tod erlöst hatte. Wie es sich anfühlte, wenn man an seinen verletzlichsten Stellen mit Zangen malträtiert und anschließend geröstet wurde, wie Mannteufel sich ausgedrückt hatte. Wie er seine Peiniger angefleht hatte. Ob er dazu überhaupt in der Lage gewesen war? Der Gedanke war unerträglich und gleichzeitig erregend. Instinktiv presste sie ihre Schenkel zusammen.
»Vielleicht wollten sie ihn für irgendetwas bestrafen … oder sie wollten etwas von ihm wissen. Etwas, das wichtig genug war, einen Mord zu begehen.«
»Kann sein. Denkst du, er hat es ihnen gesagt?«
»Schon möglich. Sonst hätten sie ihn nicht getötet. Als sie ihm das Zyankali in den Mund steckten, muss das so etwas wie ein Akt der Gnade gewesen sein.«
Sie dachte darüber nach. Es war zumindest nachvollziehbar.
»Warum aber die Verstümmelungen nachdem er tot war? Warum haben sie ihn ins Moor geschleppt und auf den Baum gebunden? Das ergibt doch keinen Sinn.«
Sie blickte Mannteufel fragend an, doch der zuckte nur mit den Schultern. Finde es heraus, sagte sein Blick.
»Übrigens, die Verstümmelungen. Womit …?«
»Wahrscheinlich mit einer stinknormalen Kettensäge. Die Wundränder an den Stümpfen weisen eindeutig darauf hin. Außerdem haben wir kleinste Holzsplitter in den Wunden gefunden und Ölrückstände. Die Säge ist also vorher schon mal benutzt worden.«
Amanda nickte und musste daran denken, wie die Männer im spärlichen Licht der Autoscheinwerfer den Baum mit dem Toten gefällt hatten.
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