Roter Herbst - Kriminalroman
Gefühl allerdings, denn selbst ihre Problemzone schien mit einem Mal zu schrumpfen. Sie zeigte auf den Platz vor ihrem Schreibtisch. Wenigstens hatte er dieses Mal seinen riesigen Hintern nicht auf meinen Stuhl platziert, dachte sie.
»Das mit ihrer deutschen Mutter war doch ein Scherz, oder?«
»Natürlich«, sagte er. »Ein kleiner Scherz. Ihr Deutschen seid doch für euren Humor bekannt.« Er sagte es, ohne zu lächeln, doch Amanda hatte gleichwohl das Gefühl, dass er sie auf den Arm nahm.
»Hören Sie …«, begann sie.
Der Amerikaner zündete sich die nächste Zigarette an. Kräftige Hände mit langen Fingern, die Handflächen rosa.
»Hören Sie«, wiederholte sie. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber was wollen Sie eigentlich hier bei uns?«
»Pericles«, sagte er. »Aber sagen Sie doch einfach Percy zu mir.«
»Amanda«, murmelte sie und reichte ihm die Hand. Pericles also, dachte sie leicht amüsiert. Sein Händedruck war kräftig.
»Internationale Polizeiarbeit«, sagte er dann. »Ich bin für die nordeuropäischen Länder, speziell Ihr Land, zuständig. Ein Projekt der NATO-Länder, finanziert vom amerikanischen Kongress. Wir vergleichen, wie in den verschiedensten kriminaltechnischen Bereichen gearbeitet wird. Die Methoden, wie sie an der Basis zum Einsatz kommen.« Er zuckte mit seinen mächtigen Schultern.
»Und warum gerade hier?«
»Das hat sich einfach so ergeben. Reiner Zufall.« Er lächelte leicht, als er das sagte.
»Wie sind … ähm … wie bist du zu diesem Job gekommen, Percy? Durch welche Umstände oder Fähigkeiten?« Einen Moment lang kam sie sich richtig bescheuert vor, als sie den riesigen Kerl mit seinem Vornamen ansprach, der so gar nicht zu ihm passte.
»Ich spreche deutsch und ich bin Bulle.«
»Und das genügt?«
»Natürlich nicht. Ich habe vor allem gute Beziehungen. Ich kenne meinen Kongressabgeordneten ganz gut. Seine Tochter hatte mal Probleme mit Rauschgift. Da konnte ich zufälligerweise helfen. Hat sich so ergeben …«
»Dann arbeitest du im Rauschgiftdezernat?«
»Nein.« Wieder lachte er. »Bin ja selber süchtig.« Er hob die Hand, in der immer noch die Zigarette glomm. »Ich arbeite in der Verwaltung. Für die Regierung. Reiner Schreibtischjob.«
»Und das da?«, fragte Amanda. Sie deutete auf die Narbe des Amerikaners.
»Nur eine Erinnerung.«
»Dienstunfall?«
»Nein. Eher eine Erinnerung an meine Jahre bei der Army. Hier in Old Germany übrigens … Aber ich glaube nicht, dass dir die Geschichte gefallen würde.«
Amanda zuckte mit den Schultern. »Aber es lässt mir keine Ruhe«, meinte sie. Irgendetwas störte sie an ihrem Gegenüber, ohne dass sie so richtig sagen konnte, was es war.
»Mir auch nicht, Amanda. Vielleicht später einmal …«
Als er ihren Vornamen aussprach, klang das seltsam intim und Amanda merkte, wie sie leicht errötete.
Ein alter Kinderreim kam ihr plötzlich in den Sinn. ›Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann‹, hatte der gelautet. Und dazu die Antwort, die sie und die anderen Kinder gebrüllt hatten: ›Wenn er aber kommt, dann laufen wir davon!‹ Damals waren sie in wildem Entzücken davongestoben, weggelaufen vor dem Dunklen in ihren Köpfen, das sie trotz allem erschreckt hatte.
Nun, sie würde auf keinen Fall davonlaufen. Nie mehr würde sie das tun.
Sie zeichnete mit dem Kugelschreiber kleine Männchen auf die Schreibtischunterlage, während sie nachdachte. Über schwarze und über tote Männer, über Narben und Erinnerungen.
8
Nachdem die Osterfeiertage vorüber waren, dauerte es weniger als einen vollen Arbeitstag, bis sie auf eine erste Spur des Toten stießen. Es war reine Routinearbeit, die zu dem Ergebnis führte. Kurz vor dem offiziellen Dienstende, gegen 17 Uhr, stürmte der junge Varga in Amandas Büro. Der stets zum Flachsen aufgelegte Polizeianwärter sah ausnahmsweise angestrengt drein und wäre beinahe über das afrikanische Leopardenfell gestolpert, das Amanda von einer ihrer Reisen mitgebracht und danach demonstrativ vor ihren Schreibtisch gelegt hatte. Seine karottenroten Haare standen, wie es Amanda in diesem Augenblick schien, besonders wirr von seinem kantigen Bauernschädel ab. Als sei er völlig durch den Wind.
»Ich hab ihn«, meinte er atemlos und knallte einen Computerausdruck auf den Schreibtisch.
»Was ist das?«, fragte Amanda etwas ungehalten, was den jungen Mann jedoch in keiner Weise beeindruckte. Sie hockte gerade mit halbem Hinterteil auf der
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