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Roter Herbst - Kriminalroman

Roter Herbst - Kriminalroman

Titel: Roter Herbst - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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betrachtete sie den Berger und seine Frau. Während er sich trotzig gegen den Wind stemmte, schien sie in sich hineinzukriechen, so als wollte sie sich mit aller Macht den Blicken der Welt entziehen. Sie wusste, ging es Amanda durch den Kopf, dass die Leute sie anstarrten. Wusste, was die Leute dachten, wusste, dass sie ihr, wenn auch mehr ihrem Mann, die Schuld am Tod der Tochter gaben. Amanda sah, wie sie ihren Mantel enger um ihre Schultern zog, nahm wahr, wie sie von Minute zu Minute stärker in sich zusammensank, als gelte es, eins mit dem grauen, feuchten Schotter zu werden, der vor dem Grab aufgeschüttet worden war.
    Endlich, von irgendwoher ein Rauschen aus Lautsprechern. Dann ertönte eine Hymne, gesungen von einem unsichtbaren Chor, der den Schutz der kleinen Kapelle gesucht hatte, dort, wo sich die Verstärkeranlage befand. Brechende Stimmen greiser Frauen. Zittrig und doch herzerweichend.
    Amanda ließ sich vom Gesang tragen. Ihre Blicke schweiften umher, langsam und träge. Hin zu der Reihe alter Männer, die sich im Rücken der trauernden Eltern aufgebaut hatten. Wie eine schützende Garde knorriger Veteranen, die sich einer immerwährenden Wahrheit verpflichtet fühlten, schienen sie ihr. Sie kannte die meisten davon. Es waren Männer aus der Generation ihres Vaters.
    Der Wind wurde heftiger, zerrte an den Schleifen der Kränze, ließ sie wie Gewehrschüsse knattern. Dazwischen Worte des Trosts, die über den Friedhof getragen wurden und sich in Sekundenschnelle über den Trauernden auflösten. Frauen, die ihre Hüte festhielten, Mäntel, die gegen steife Knie schlugen.
    Als die Zeremonie vorüber war, wandte sich Amanda um. Sie wollte fort, kam aber nicht weit.
    »Haben Sie die Tote gekannt?«
    Amanda Wouters blickte in das Gesicht des Mannes, der während der Totenfeier dicht hinter ihr gestanden hatte, dessen Anwesenheit sie vage gespürt hatte und der sie nun fragend musterte. Es dauerte einige Momente, bis sie ihn erkannte.
    »Ja«, sagte sie dann. »Von früher. Vom Gymnasium. Ansonsten, na ja …« Amanda zuckte mit den Schultern. »Hier im Dorf kennt schließlich jeder jeden. In der Stadt ist das natürlich anders.«
    Bichlmaier nickte. »Wie war sie denn damals … am Gymnasium?«
    Amanda seufzte. »Sie war das hübscheste Mädchen der Schule, oder besser, die schärfste Braut, ein richtiges Hippiemädchen. Die Burschen waren alle ganz verrückt nach ihr und wir, die anderen Mädchen, haben sie deswegen beneidet. Das war ihr aber gänzlich egal. Vielleicht ist ihr das aber zu Kopf gestiegen … Dann hat es Gerüchte gegeben, dass sie kifft und dass sie es mit der Moral nicht so genau nimmt. Wie das damals halt so war … Irgendwann war sie einfach weg.« Sie lachte etwas verlegen und blickte ihn abwartend an. »Haben Sie sie denn gekannt?«
    »Flüchtig«, sagte Bichlmaier. Er schien, weitersprechen zu wollen, sagte aber doch nichts.
    »Dann haben Sie damals hier in der Stadt gelebt?«
    »Nein, nicht in der Stadt. Ich war einer von denen dort drüben.« Er deutete an der Aussegnungshalle vorbei in die Ferne, doch Amanda wusste sofort, was er meinte. Natürlich kannte sie das mächtige Gebäude, das durch die Zweige der Bäume zu erkennen war.
    »Beim Bund. Sie waren hier während Ihrer Bundeswehrzeit? Wann war das denn?«
    Bichlmaier nickte. »Anfang der 70er-Jahre. Eine turbulente Zeit.«
    »Finden Sie?«
    Sie schwieg einen Augenblick. Dann nickte sie. »Ich war damals noch ein Kind, aber ich kann mich noch gut an das Ende der 70er erinnern. Das war etwas später, aber da waren Sie wahrscheinlich schon wieder weg?«
    »Ja, ich war nicht sehr lange hier. Eigentlich nur ein paar Monate. Zu einem Lehrgang. Ich kann mich daran kaum erinnern. Auf jeden Fall zu irgendetwas völlig Unwichtigem.«
    Bichlmaier hatte sich, während sie miteinander sprachen, vom Grab abgewandt. Gemeinsam bewegten sie sich nun in Richtung des Ausgangs. Sie kamen nur langsam voran, da sich die meisten Trauernden ebenfalls auf den Weg gemacht hatten. Es gab niemanden, der in Eile war. Es hatte den Anschein, als würde etwas die Menschen zurückhalten, sie daran hindern, den Friedhof in ungestümer Hast zu verlassen.
    »Und der Junge?«, fragte Bichlmaier, nachdem sie sich durch das enge Friedhofstor gezwängt hatten.
    »Martin?«
    »Ja. Ist sie seine Mutter gewesen?«
    Amanda nickte. »Die Marlies hat sich aber nie um ihn gekümmert. Sie hat den Jungen bei ihren Eltern abgeliefert und dann ist sie wieder verschwunden.

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