Roter Herbst - Kriminalroman
Niemand hat gewusst, wo sie geblieben ist, was sie getrieben hat. Soweit ich weiß, hat sie sich hier nie mehr blicken lassen. Hat irgendwo ein neues Leben begonnen … Sie hat wohl ihre Freiheit gebraucht.«
»Wo ist sie denn gestorben?«
»Nach meinen Informationen in München. Aber wo genau und unter welchen Umständen, das kann ich noch nicht sagen.« Sie hob die Schultern und blickte ihn fragend an, aber auch er wusste nichts hinzuzufügen.
Es blieb geraume Zeit still zwischen den beiden. Immer wieder grüßten nun Leute, die an ihnen vorbeihuschten. Die meisten nickten Amanda zu und warfen fragende Blicke auf den Mann neben ihr.
»Weiß man, wer der Vater des Jungen ist?«, hob Bichlmaier wieder an.
»Nein. Wenn ihn überhaupt jemand kennt, dann die alten Berger. Aber ob die etwas ahnen, selbst das weiß keiner so genau.«
»Hm«, brummte Bichlmaier. »Wie alt ist denn der Martin überhaupt?«, wollte er wissen.
»Der Martin … ja, der müsste etwa 40 sein. 40 oder 41. Etwas um den Dreh. Warum fragen Sie?«
»Nur so.« Bichlmaier zuckte mit den Schultern und lächelte vage. »Wer wird für ihn sorgen, wenn die Großeltern dazu nicht mehr in der Lage sind?«
»Keine Ahnung. Ich glaube aber nicht, dass es noch Verwandte gibt, die das übernehmen könnten. Wahrscheinlich wird man ihn in ein Heim stecken. Irgendeine kirchliche Einrichtung oder etwas Ähnliches.«
Schweigend gingen sie weiter, bis sie das Dorf erreicht hatten und Bichlmaier abbiegen musste, um zu seinem Auto zu kommen. Er reichte ihr die Hand und blickte einen Moment auf sie herab. Sie kam ihm plötzlich sehr klein vor.
»Wie kommen Sie denn überhaupt mit unserer Moorleiche voran?«, fragte er zum Abschied.
»Es geht«, meinte Amanda. »Es geht. Zumindest wissen wir jetzt, wie der Mann heißt.«
Bichlmaier blickte sie fragend an.
»Ein Amerikaner aus Seattle. Aaron Rosenberg …«
»Ein jüdischer Name.«
»In der Tat«, nickte Amanda und sah ihn erstaunt an.
»Du siehst miserabel aus«, sagte Nowak, als sie ins Büro zurückkam. »Warum hängst du hier herum, wenn du nicht fit bist?«
»Mir fehlt nichts«, brummte sie heiser. Das Kratzen im Hals war jedoch schlimmer geworden und seit heute Morgen schmerzten ihre Ohren. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad mit Eukalyptus-Zusatz, was vielleicht helfen würde, den Nebel in ihrem Kopf zu beseitigen.
»Da geht was um«, schob Nowak mitfühlend hinterher. »Ada fühlt sich auch angeschlagen.«
»Keine Zeit, krank zu sein, oder, Nowak? Woher weißt du, dass es Ada schlecht geht?«
Doch ehe Nowak dazukam, etwas darauf zu antworten, stürmte Varga in Amandas Büro. Er war ziemlich außer Atem.
»Nachricht von Sam«, stieß er hervor. Amanda und Nowak schauten ihn verwundert an.
»Die Amis haben eine Mail geschickt … wegen der Leiche. Aaron Rosenberg … unsere Moorleiche ist schon seit mehr als 40 Jahren tot. Wurde damals eingeäschert.«
»Wie bitte?«, krächzte Amanda. »Sind die Amis sicher, dass …?«
»Absolut.«
Einen Augenblick sagte keiner ein Wort. Alle drei lauschten sie der Stille und dem Wind, der durch das geschlossene Fenster zu hören war und in den letzten Minuten zugenommen hatte. Amanda hatte sich zum Fenster gedreht, und wie die beiden anderen Polizisten starrte sie in die beginnende Dunkelheit hinaus. Die Bäume peitschten ihre Äste und Zweige gegen das Gebäude, dass es aussah, als würden die Tentakel eines Riesenkraken nach ihnen greifen.
»Ich wusste, dass da etwas nicht stimmt«, murmelte Amanda. Dann musste sie husten.
9
Zum ersten Mal nach all den Jahren stand er wieder vor dem riesigen Eingangstor, blickte auf die Baracken und die heruntergekommenen Unterkünfte des Areals, das sich schier endlos vor ihm ins Nichts erstreckte. Wie damals bereitete ihm der Anblick der grauen Betonblöcke und -türme und der schnurgeraden Kasernenstraßen ein Unbehagen, das er körperlich spürte. Er ließ seine Augen wandern. Überall waren Zeichen des Verfalls zu erkennen. Zwischen den Betonschwellen der Wege wuchs Gras aus Ritzen, Blätter, die der Wind vergangener Jahre herangetragen hatte, lagen in Haufen entlang der Seitenstreifen, dunkelten bräunlich vor sich hin.
Als er die Augen schloss, schien es ihm, als hörte er den monotonen Klang hundertfach stampfender Stiefel, getragen von Marschmusik, deren Schall sich an den leeren Häusern brach. ›Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun bin auch ich, ja, bin auch ich. Schwarzbraun muss
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