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Roter Herbst - Kriminalroman

Roter Herbst - Kriminalroman

Titel: Roter Herbst - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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Marlies von Bedeutung war, ohne dass sie sagen konnte, was sie darauf brachte. Vielleicht war es manchmal so, dass man Dinge wusste, ohne so recht wahrzunehmen, dass man sie wusste. Vielleicht nur ein ungewisses Bauchgefühl, eine bohrende Ahnung oder die unerklärliche Sicherheit, dass sich etwas Entscheidendes zusammenbraute. Mochte man es Intuition, Vorstellung oder vage Einsicht nennen, letztlich war es wahrscheinlich ein einfacher mentaler Prozess, bei dem das Gehirn Situationen mit bereits Bekanntem verknüpfte und sich dabei aus dem Wirrwarr der Erinnerungen eine Idee herauskristallisierte, die Zusammenhänge erkennbar werden ließ. Vielleicht war es gerade diese Fähigkeit, Fingerzeige des Unterbewussten aufzunehmen, die eine gute Polizistin ausmachte. Amanda Wouters war sich dessen aber nicht sicher und vermied es tunlichst, näher über solche Zusammenhänge nachzudenken. So war es denn lediglich eine Ahnung, die sie bewog, Nowak zu sich zu rufen.
    Nowak hatte in einem früheren Leben Novakovic geheißen, Edin Novakovic. Jetzt nannten ihn alle Edi oder einfach nur Nowak. Damals, als er nach Deutschland gekommen war, war er noch ein junger Mann gewesen und er hatte geglaubt, ein anderer Name würde es ihm erleichtern, in den Strom der Menschen seiner neuen Heimat einzutauchen. Im Lauf der Jahre hatte er jedoch erkennen müssen, dass es mehr bedurfte, um von den Menschen akzeptiert zu werden.
    Nowak hörte, dass Amanda nach ihm rief, aber er ließ sich Zeit, tat so, als sei er mit wichtigen Dingen beschäftigt. Er hasste es, sich von Vorgesetzten herumkommandieren zu lassen, was, wie er oftmals behauptete, mit seiner Herkunft aus einem ehemals blockfreien Staat zu tun hatte.
    »Scheiße, ist das kalt«, sagte er, als er nach geraumer Zeit in Amandas Büro geschlendert kam. Er schielte auf das geöffnete Fenster und runzelte die Stirn.
    »Hör auf damit, sagte Amanda. »Ich hab da was für dich. Da wird dir schon warm werden …«
    Nowak schaute sie böse an. »Die Worte sind frei«, brummte er. Dann setzte er sich und Amanda erklärte ihm, was sie von ihm wollte.

    Der Friedhof des Dorfes lag etwas abseits und thronte auf einer kleinen Anhöhe, von der aus man einen Blick auf das nahe Moor hatte. Eine Kapelle mit Aussegnungshalle und eine Reihe verkrüppelter Föhren auf der dem Moor entgegengesetzten Seite verhinderten, dass man das Dorf und die Stadt erkennen konnte. Lag Nebel über dem Moor, so hatte Amanda, wenn sie in die Weite blickte, den Eindruck, sich in einem Raumschiff zu befinden, das sich in eine trostlose Öde hinabsenkte.
    Der Anstieg zum Friedhof war mühsam, obwohl die Strecke von der Dorfkirche hinauf zu den Gräbern nur wenige hundert Meter betrug. Es waren erstaunlich viele Menschen, vorwiegend ältere, die der Marlies die letzte Ehre erwiesen. In einer langen Reihe zogen sie den schmalen, notdürftig asphaltierten Weg hinauf. Vorweg eine kleine Gruppe von Ministranten, dahinter der Berger mit seiner Frau und zwischen ihnen Martin, der in seinem viel zu großen dunklen Anzug verloren und unglücklich aussah. Erst in einigem Abstand folgten die restlichen Trauergäste.
    Von der Anhöhe oben war das dünne Klagen eines Totenglöckchens zu hören, dessen scharfer Ton in unregelmäßigen Stößen vom Wind herabgetragen wurde.
    Als die Menschen schließlich durch das enge Friedhofstor kamen, waren die meisten außer Atem und froh, am offenen Grab ausruhen zu können. Dann, als der Klang der Glocke verstummte, begann sich Schweigen wie zähes Miasma auszubreiten, vermischte sich mit den grauen Atemwolken der Trauergäste und waberte gleichermaßen um die Menge der Trauernden, der Betroffenen und der lediglich Neugierigen. Wie Nebelkrähen um zerfleddertes Aas reihten sich diese um den Sarg, in dem Marlies Berger fortan ihrer Auferstehung harren würde. Einige wenige Kränze bedeckten das ausgehobene Erdreich notdürftig. Blumen, die vom Wind gezaust wurden.
    Amanda hasste Beerdigungen. Außerdem fühlte sie sich nicht wohl. Sie spürte, dass eine Erkältung im Anmarsch war. Ihr Hals schmerzte und ihre Bronchien rasselten. Der heftige Wind, der durch die Gräber pfiff, tat ihr sicher nicht gut. Sie wünschte, der Geistliche, der die Gemeinde am Grab erwartet hatte, würde mit seiner Andacht beginnen. Alles war schließlich besser, als dieses Schweigen, das nur vom Scharren ungeduldiger Füße und gelegentlichem Husten unterbrochen wurde.
    Über die gesenkten Köpfe der Menschen hinweg

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