Roter Herbst - Kriminalroman
schon älter waren, aber ähnlich dachten, wie unsere Uffze und Stuffze aus der Kompanie. Die hassten den ganzen amerikanischen Kram, der ihre Kinder ihrer Meinung nach verdarb, das neue Amerika, die Hippies und Protestierer. Alles Kommunisten in ihren Augen … So wie die Studenten an den Unis. Vor allem aber hatten sie Angst vor dem Iwan. Die glaubten wirklich, dass die Russen und der Warschauer Pakt eines Tages die Bundesrepublik und den gesamten Westen überfallen würden.«
»Haben das damals nicht die meisten Menschen in Westeuropa geglaubt oder zumindest für möglich gehalten?«
Rune zuckte mit den Schultern. »Mag schon sein. Aber es gab nur ganz wenige, die sich aktiv auf eine militärische Auseinandersetzung vorbereitet haben.«
»Du meinst …«
»Wehrsportgruppen. Ich habe die Jungs beobachtet, wie sie von hier aus ins Moor und die Wälder geschlichen sind.«
»Scheiße«, sagte Bichlmaier, »davon habe ich nie etwas bemerkt.«
»Wie solltest du auch? Das lief alles ziemlich geheim ab, obwohl sich einige offen damit gebrüstet haben.«
»Was haben die dort draußen getrieben?«
»Trainiert für den Ernstfall … Guerillatechniken, Umgang mit Sprengstoff. Soweit ich weiß, haben sie auch Waffenlager angelegt und Schießübungen gemacht …«
»Das klingt doch krank.«
Rune nickte. »Aus unserer Sicht heute ist das natürlich krank und hysterisch, aber es gab in dieser Zeit richtige Geheimarmeen, die über ganz Westeuropa vernetzt waren, sogenannte ›Stay-behind‹-Einheiten, die alle auf einen Einsatz hinter den feindlichen Linien vorbereitet wurden …«
»Du meinst, falls der Russe in Westeuropa angreift …?«
»Ganz genau. Diese Einheiten wurden verdeckt von den Amis und dem CIA finanziert und geführt … Damals haben viele geglaubt, dass das notwendig ist, um den Westen vor dem Kommunismus zu bewahren. Dazu kam, dass ehemalige Angehörige der Wehrmacht und Veteranen der Waffen-SS Ängste geschürt und sich aktiv an solchen Unternehmungen beteiligt haben, alte Nazihaudegen, die eine neue Generation von Rechtsextremen um sich geschart haben. Das ging gleich nach dem Krieg los.«
Bichlmaier ließ den Blick über das allmählich seine Farbe verlierende Moor schweifen. Alles wirkte plötzlich wieder seltsam grau und unwirklich. Wie an dem Abend, als man die Leiche gefunden hatte, dachte er. Nur in der Ferne blitzte einige Male etwas auf. Ein letzter Sonnenstrahl, der sich an einer Glasscherbe oder etwas ähnlichem brach.
»Denkst du, dass die Moorleiche etwas damit zu tun hat?«
»Womit?«
Bichlmaier blickte ihn erstaunt an. »Mit diesen Dingen, die du mir gerade erzählt hast.«
Rune wollte schon antworten, doch war in diesem Augenblick von unten das Bellen Sandors zu vernehmen. Laut und wild. Ein Tier vielleicht, dessen Witterung er aufgenommen hatte.
»Komm«, sagte Rune, ohne auf Bichlmaiers Frage einzugehen. Seltsam hastig schob er Bichlmaier zur offenen Falltür. Als er sie hinter sich geschlossen hatte, umgab sie fast totale Finsternis. Er hatte Angst, dachte Bichlmaier.
Der Mann, der nur wenige hundert Meter von der Kasernenmauer entfernt im Schatten einer Kiefer stand, streckte den Zeigefinger seiner Linken, den er zuvor befeuchtet hatte, in die Luft, prüfte die Stärke des Windes, der die Bäume um ihn herum bewegte. Er wusste, dass es wenig Sinn hatte, einen gezielten Schuss aus dieser Entfernung abzugeben. Auch wenn er ein geübter Schütze war. Es war ohnehin ohne Belang. Bislang gab es keinen Grund, warum er töten musste. Dennoch setzte er abermals das Gewehr an die Schulter, kniff das linke Auge zusammen. Aber er hatte den Finger nicht am Abzug, blickte nur durch das Zielfernrohr, sah im infraroten Licht die schemenhaften Gestalten, die mit Hast die Stellung auf dem alten Wehrturm räumten. Er lachte leise, was ganz komisch klang, so als hätte er es vor langer Zeit verlernt.
»Kommt mir nicht zu nahe«, flüsterte er. »Niemand, der ungestraft in meine Welt eindringt.«
»Du bist der Hüter, der Hüter …«, sang der Wind und die Bäume neigten sich. Ganz gedämpft war aus der Nähe das Bellen eines Hundes zu hören.
10
»Wir haben einen Toten, dem beide Hände abgesägt wurden, was uns bei seiner Identifizierung nicht gerade hilft, und wir haben eine Videoaufnahme vom Flughafen von eben jenem Unbekannten, der nur Stunden später, nachdem er an der Überwachungskamera vorbeigelaufen ist, professionell und mit großer Brutalität gefoltert wurde, zu
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