Roter Herbst - Kriminalroman
Nach der Sache mit Romy. Eigentlich schon, dachte er, nur hatte ihm bis vor Kurzem der Mut dazu gefehlt. War also das Mädchen nur um ein Ungleiches mutiger gewesen? Etwas in ihm sträubte sich gegen diese Annahme. Er konnte nicht glauben, dass ihnen der alte Mann schon alles gesagt hatte, was er wusste. Irgendwo gab es ein Geheimnis. Er spürte das. Noch wussten sie nicht alles von der Finsternis, die das Mädchen damals in seinem Innersten erfasst hatte.
»Und das soll der Grund gewesen sein, dass sie alle Brücken hinter sich abgebrochen hat? Nur um dem Berger eins auszuwischen? Ich kann es nicht glauben …«
Der alte Mann sagte eine Weile nichts und Bichlmaier fürchtete, er sei eingenickt. Schließlich räusperte er sich doch.
»Es gab damals Gerüchte …«, sagte er schließlich, ohne den Kopf zu wenden. »Berger und seine Kumpane müssen etwas angestellt haben, was das Mädchen nicht verkraftet hat. Irgendetwas, das sich draußen im Moor abgespielt hat. Aber ich weiß nicht, was das gewesen ist. Das wollte Marlies mir nicht sagen.«
Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, und Bichlmaier wartete. Aber dann drehte sich der alte Mann mit seinem Rollstuhl und fuhr mit einem leisen, kaum wahrnehmbaren Summen zurück zu dem Fenster, aus dem er gestarrt hatte, als beide hereingekommen waren.
Back to zero also, dachte Bichlmaier und erhob sich. Sie waren wieder bei null angelangt. Oder doch nicht? Er nickte Amanda Wouters zu. Beide wussten sie, dass sie hier nicht mehr erfahren würden. Und doch waren sie einen kleinen Schritt weitergekommen, hatten sie einen weiteren Hinweis erhalten, wo sie nach dem Bösen suchen mussten …
»Wer ist übrigens diese Romy?«, fragte Amanda, als sie wieder im Auto saßen.
»Nur jemand von früher«, sagte Bichlmaier. Dann schloss er das Verdeck und fuhr los.
23
»Es gibt keine Fotos von unserer Marlies«, sagte Christa Berger. »Mein Mann hat sie alle vernichtet.«
»Warum hat er das getan?«
Sie zuckte mit den Schultern, als ginge sie das Ganze nichts an. Als sei es nicht mehr wichtig.
»Jetzt, wo sie tot ist, soll es auch keine Bilder mehr von ihr geben, hat er gesagt …«
»Wann war das?«
»Ich weiß nicht … Ist noch nicht lang her. Gleich, nachdem du mit ihm gesprochen hast.«
»Alle Fotos?«
Sie nickte.
»Was ist damals geschehen, Christa? Damals, als die Marlies nach Berlin gegangen ist. Du musst es uns sagen, es ist wichtig.«
»Weiß nicht.«
»Christa, was ist damals vor 40 Jahren draußen im Moor passiert? Du weißt, dass es da etwas gegeben hat, nicht wahr? Ist denn dein Mann mit seinen Freunden oft ins Moor gegangen? Damals, als sie Krieg gespielt haben.«
Doch die alte Frau schüttelte nur den Kopf, wartete offensichtlich, dass man sie in Ruhe ließ. Niemand würde sie dazu bringen, gegen ihren Mann auszusagen. Vielleicht erinnerte sie sich auch nicht mehr, dachte Amanda. Dabei wusste sie, dass das nicht stimmte. Dann, als sie die Hoffnung schon aufgegeben hatte, etwas von der Frau zu erfahren, wandte sich diese ihr zu. Dabei blickte sie an Amanda vorbei, irgendwohin auf die gegenüberliegenden Stallungen.
»Ihr müsst den Hüter finden«, sagte sie verschwörerisch, ehe sie sich abrupt umdrehte und zurück in ihre Küche ging.
München
Der Raum war fensterlos und wurde durch zwei Halogenleuchten notdürftig erhellt. Ein kaltes Licht ließ die Trostlosigkeit, die hier herrschte, besonders hervortreten. Am hinteren Ende des Raums surrte ein überdimensionierter Ventilator, der die verbrauchte Luft irgendwohin nach draußen zu transportieren versuchte. Trotzdem herrschte ein ziemlicher Gestank, der vor allem von den Hunden kam, die in ihren Zwingern unruhig hin und her liefen, hechelten und ihren Geifer verspritzten.
Die Personen, die hier vor den beiden Polizisten gewesen waren, waren offenkundig nicht gewaltsam eingedrungen. Tür und Schloss waren nicht beschädigt. Wie es schien, hatten sie sich auch keine Mühe gegeben, ihre Anwesenheit zu verbergen.
Was für eine trostlose Art, zu leben, dachte Edin Novakovic, der den Namen seiner Kindheit und Jugend nicht mehr trug. Auch er hatte die dunklen Seiten des Lebens kennengelernt. Und er hatte viele Wohnungen gesehen, von Menschen, die durch die Hand eines anderen ums Leben gekommen waren. Selten jedoch solche Höhlen, wie dieses Zimmer, in dem Otto Brenner gehaust hatte.
In den meisten Fällen hatten diejenigen, die zu Opfern geworden waren, in ärmlichen Verhältnissen gelebt.
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