Roter Herbst - Kriminalroman
kam um kurz vor halb vier deutscher Zeit. In Seattle hatte der Arbeitstag somit gerade erst begonnen, was für die beiden Ermittler, die ungeduldig auf diesen Anruf gewartet hatten, aber ohne Belang war.
Max Breidenbends Stimme kam überraschend klar und deutlich aus dem Hörer, ohne verwirrendes Brausen aus dem Äther, wie beim letzten Mal. Wie es schien, war der Detective Lieutenant schon seit geraumer Zeit auf den Beinen. Er klang zumindest frisch und munter.
»Hi, Amanda«, brüllte er, und die Laute rollten tief aus seiner Kehle. »Es gibt Neuigkeiten über euren Mann im Moor. Aaron Rosenberg. Du wirst staunen. Wir haben seine Spur gefunden …«
»Großartig, Max. Übrigens, wir können dich sehr gut hören. Du brauchst nicht …«
»Verstehe«, ertönte die Stimme nun wesentlich gedämpfter.
»Was habt ihr ermittelt?«
»Nun, dieser Rosenberg war auch für uns lange Zeit ein Phantom. Er taucht zum ersten Mal im Oktober 1971 auf. Vier Jahre nach seiner Einäscherung in Tacoma. Er ist ganz plötzlich da. Zwischen 1967 und 1971 gibt es noch keinerlei Spuren von ihm. Als habe er nicht existiert.«
»Und dann?«
»Im Oktober des Jahres ist er als Teaching Assistant an der University of Washington in Seattle registriert. Er arbeitet im Department of Germanics als Assistent von Professor Ernst Behler, dem damaligen Chairman des Departments …«
»Habt ihr mit dem Professor gesprochen? Was sagt er?«
»Das ging leider nicht. Der Professor ist vor etwa zehn Jahren verstorben, im Alter von 82 Jahren.«
»Gibt es denn keine Unterlagen, Arbeitsverträge oder Ähnliches?«
»Doch, Amanda, die gibt es. Alles scheint in Ordnung … und alle wurden von Behler unterzeichnet … jeder einzelne Vertrag.«
»Hm, ist das alles? Dann war das wohl eine Sackgasse?«
»Nein, nein, warte, nicht unbedingt. Wir haben mit einigen anderen ehemaligen Professoren gesprochen. Da gibt es nicht mehr viele. Die meisten sind bereits tot und die wenigsten von denen, die noch leben, konnten sich so recht an ihn erinnern. Wie es scheint, war er ein ziemlicher Einzelgänger, der zwar als TA tätig war, aber niemals unterrichtet hat. Es gibt auch keinerlei Publikationen von ihm, keinen Aufsatz, nichts. Und das ist schon sehr ungewöhnlich. Er hat nur für Behler gearbeitet. Vorwiegend im Bereich der Literaturrecherche, was immer das ist. Bis 1998. Dann gingen beide in Ruhestand. Behler emeritierte und Rosenberg zog sich in ein kleines Haus bei Bremerton zurück.«
»Und Behler? Was ist mit ihm?«
»Nichts Außergewöhnliches. Ein Mann ohne Schatten …«
»Was bedeutet das also?«
»Dass wir erst einmal an unsere Grenzen gestoßen sind. Aber wir haben noch weitere Erkundigungen eingezogen.«
»Und?«
»Lass es mich kurz machen. Du wirst überrascht sein.«
»Nun?«
Max Breidenbend lachte. Sie vernahm ein tiefes Grollen und sie ahnte, dass er etwas für sie hatte, das wirklich von Bedeutung sein musste. »Wir haben seine Telefongespräche während der letzten beiden Jahre gecheckt. Da gab es eine Nummer, die er immer wieder gewählt hat. Eine Nummer in Santa Barbara, California. Wir haben dort angerufen. Und siehe da, ein Volltreffer. Allerdings mussten wir feststellen, dass der Mann, dem diese Nummer gehört hat, vor wenigen Tagen verstorben ist …«
»Noch ein Toter! Ist das nicht eigenartig?«
»Nein, denn allem Anschein nach starb er eines natürlichen Todes. Aber, was interessant ist, ist vor allem der Name des Mannes, ein deutscher Name … Peter Urbach …«
Aus Breidenbends Mund klang das wie ›Örbäck‹, und einen Moment lang waren Amanda und auch Adolf Bichlmaier wohl gleichermaßen verwundert und hilflos. Der Name sagte ihnen herzlich wenig.
»Peter Urbach«, wiederholte Amanda etwas ratlos. Sie musste fast lachen, als sie bemerkte, wie enttäuscht der Kollege wegen ihrer Unwissenheit war, und erst als er ihnen erklärte, wer sich hinter diesem Namen verbarg, wurde ihnen die Brisanz des Ganzen klar.
»Urbachs Frau hat im Übrigen bestätigt, dass Aaron Rosenberg Peters Urbachs älterer Bruder war. Sein eigentlicher Name war Hartmut.«
Hartmut, dachte Bichlmaier. Endlich näherten sie sich dem Ziel.
»Und was wollte dieser Hartmut in Deutschland? Hat dies seine Schwägerin denn auch gewusst?«
Mit einem Mal schien Breidenbends Stimme weit weg zu sein. Es klang fast wie ein Flüstern, als er auf Amandas Frage antwortete. »Er hatte etwas sehr Wertvolles dabei, etwas, das ihm sein Bruder anvertraut
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