Roter Hibiskus: Roman (German Edition)
neues Kleid«, meinte sie.
Mara warf ihr einen überraschten Blick zu. Der Gedanke daran, sich etwas Neues zuzulegen, war ihr gar nicht gekommen. Aber jetzt, wo Bina es angesprochen hatte, reizte sie die Idee. Seit Bina ihr vor zweieinhalb Jahren die Safari-kleider genäht hatte, hatte sie sich nichts Neues mehr zum Anziehen gekauft.
Unwillkürlich griff sie nach der Zeitschrift, die im hinteren Teil auch Modeseiten enthielt. Ein leichtes Schuldgefühl stieg in ihr auf, denn weder sie noch John gaben jemals Geld für Kleidung aus. Das brauchten sie auch nicht. Raynor hatte einen gewaltigen Vorrat an Safarihemden, Hosen und Jacken gekauft, als ein Ausstatter in Arusha im Zweiten Weltkrieg den Laden geschlossen hatte. An den Abenden in der Lodge trug John einen seiner zwei cremefarbenen Tropenanzüge aus Leinen, und Mara hatte natürlich ihre blauen Kleider. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie ausgingen – zu einer Party auf einer der Farmen oder an Weihnachten in die Kirche nach Kikuyu –, zog Mara eines der Kleider an, die sie aus Australien mitgebracht hatte. Sie waren vielleicht mittlerweile ein wenig altmodisch und abgetragen – aber für die Frau eines Jägers waren sie gut genug.
Sie brauchte wirklich nichts Neues.
Aber mit dem Bündel Geldscheine in der Tasche und dem Bild von Lillian Lane vor Augen überkam Mara ein unwirkliches Gefühl. Sie begann die Zeitschrift durchzublättern. Fast augenblicklich fiel ihr etwas ins Auge – ein Rock mit einem Oberteil. Sie wusste, dass der Stil gut zu ihr passen würde.
Bina nickte zustimmend. »Aber bitte«, sagte sie, »dieses Mal kein afrikanischer Stoff.«
Sie begann, gemusterte Seidenstoffe herauszuholen und an Mara zu halten. Aber Mara hatte andere Vorstellungen. Sie blickte an Bina vorbei auf die Regale und suchte nach etwas, das ihr gefiel. Endlich fand sie es: ein weicher Baumwollstoff mit grünen, goldfarbenen und braunen Sprenkeln. Er sah aus wie ein Stück Savanne, eingefangen auf einem Kleiderstoff.
Rasch stand sie auf und hob den Stoffballen herunter. »Dieser hier. Er ist perfekt. Ich finde ihn wunderschön …«
Bina runzelte die Stirn, aber nur kurz – sie schien hin-und hergerissen zu sein zwischen ihrer Enttäuschung über die Wahl und ihrem Stolz über die Tatsache, dass es in ihrem Laden etwas gab, das Mara so sehr gefiel.
»Leg bitte die äußeren Kleidungsstücke ab«, sagte sie zu Mara und griff nach dem Bandmaß.
Mara wartete unwillkürlich darauf, dass Bina den Kopf schütteln würde, als sie die Maße ihrer Hüften aufschrieb. Stattdessen meinte Bina, es sei eigentlich egal, dass Mara so dünn sei. Das Muster, das sie sich ausgesucht habe, sähe sowieso aus, als sei es für einen Jungen gemacht.
Sie umschlang Mara mit den Armen, als sie das Bandmaß um ihre Taille legte. Der leicht ranzige Geruch ihrer geölten Haare und der Duft nach Sandelholz stiegen Mara in die Nase.
»Wie alt bist du eigentlich?«, fragte Bina plötzlich. Bei ihr klang es so, als hätten sie schon vorher über das Thema geplaudert.
»Siebenundzwanzig«, antwortete Mara. Wohin mochte die Frage wohl führen? Bei Bina konnte man das nie wissen.
»Und du bist seit drei Jahren verheiratet«, erklärte Bina. Danach brauchte sie nicht zu fragen – an dem Tag, als Mara als Braut von John Sutherland in Kikuyu eingetroffen war, war sie da gewesen. »Und sag mir – warum habt ihr keine Kinder? Hast du medizinische Probleme?«
»Nein!« Mara lachte kurz. »Es ist nur … John und ich wollen noch keine Kinder. Wir haben viel Verantwortung, mit der Lodge. Und auch finanziellen Druck.«
Bina trat einen Schritt zurück und musterte Mara. »Niemand stellt das Geschäft über Kinder«, sagte sie fest. »Ich glaube, etwas stimmt nicht.« Sie blickte Mara forschend an. »Ich glaube, dein Mann ist kein guter Ehemann. Er schläft nicht mit dir.«
Mara hielt den Atem an. Leise Wut stieg in ihr auf, auch wenn sie gemildert wurde durch die Freundlichkeit in Binas Blick. Sie wandte sich ab und schaute aus dem Fenster. Es zeigte auf einen privaten Garten – ein ödes Grundstück, auf dem nur eine einzige, kümmerliche Palme stand. Sie spürte, dass Bina sie immer noch musterte.
»Doch, er tut es. Wir tun es«, sagte sie. Ihre Stimme klang dünn und schwach.
Sie schlang die Arme um sich. Sie fühlte sich entblößt in ihrer Unterwäsche, als ob ihre Haut und ihre Knochen irgendwie die Wahrheit verraten könnten. Es hatte zwar eine Zeit gegeben, in der sie und John
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