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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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großzügige Scheunen für den Fuhrpark, massive Anbauten, die den
ursprünglichen Hof unter sich begruben.
    Für einen Moment dachte Killian sehnsüchtig an die wunderbaren Güter
in Asti oder im Burgund. Anwesen, die allein durch ihre historische Pracht dem
Wein die gewisse Reife verliehen. Das war natürlich romantisierende Verklärung.
Nüchtern betrachtet konnten sich die Spitzenweine Brenns allemal mit der
internationalen Konkurrenz messen. Der kalkhaltige Boden und die sonnige Lage
gaben die Basis für die Qualität des Weins, die unermüdliche Schaffenskraft und
Geduld des Winzers verhalfen dem Tropfen zu Seele und Charakter.
    Es bedurfte schon einer großen Liebe zur Traube, um so edle Weine zu
keltern, wie Brenn es in den letzten Jahren gelungen war. Er hatte sich viel
Zeit für den Ausbau der unterschiedlichen Beeren genommen, ein Verfahren, das
ins Geld ging. Brenn würde sich aber sicherlich rechtzeitig Allianzen
geschaffen haben: Dauerabnehmer, die auch billigere Weine von ihm kauften,
solange nur sein Etikett auf der Flasche war. Bis nach Hamburg gingen die
Tafelweine. Allerdings waren diese Tropfen nicht aus Brenns eigener Kelterei,
das wusste Killian von einem Winzer, der Brenn belieferte. Er kaufte die
schnell gekelterten Weine günstig von den Winzergenossenschaften oder einzelnen
Kleinwinzern und verdiente am Zwischenhandel. Dafür konnte er es sich leisten,
bei seinen eigenen Weinen die Ruhe zu bewahren.
    Brenn hatte nicht nur deswegen Neider. Durch seine darwinistische
Geschäftspolitik hatte er wohl einige kleinere Winzer zur Aufgabe oder zum
Verkauf gezwungen und sich über die Jahrzehnte die vollmundigsten Lagen und
Böden angeeignet, die ihn nun zu einem der mächtigsten Winzer des Kaiserstuhls
machten.
    Aber der Weinfürst, so wusste der klatschfreudige Zulieferer Brenns,
hatte keinen männlichen Erben, und das wurmte ihn. Zwar verhielt sich Margit
wie ein Mann, aber das passte ihm auch nicht. Herberts Hoffnung lag auf Silke.
Sie sollte ihm nicht nur den Erben seines Lebenswerkes gebären, auch von der
Vermählung mit der Ihringer Winzerdynastie Zimmerlin versprach sich Brenn
weitere Schritte der Machtsicherung. Aber Silke hatte ein Techtelmechtel mit
dem toten Hartmann gehabt. Bärbel hatte sich das sicherlich nicht nur
eingebildet. Wenn Silke nun Geld und Liebe für den Schamanen bereitgehalten
hätte, wäre die Elefantenhochzeit in Gefahr geraten. Um das zu verhindern, traute
Killian dem alten Brenn vieles zu; auch den spontanen Schnitt durch eine Kehle
mit einem Okuliermesser.
    Killian parkte seinen Defender auf dem Hof und stieg aus. Zwei
Schäferhunde hatten bereits auf ihn gewartet und fletschten ihre Zähne. Ein
scharfer Pfiff erreichte die Trommelfelle der Bestien. Sofort ließen sie von
Killian ab und rannten zur Quelle des Pfiffes. Margit stand in Gummistiefeln,
Jeans und einem eng anliegenden Armee-T-Shirt auf dem Treppenabsatz, der zur
Haustür führte. Ihre roten Medusalocken hatte sie unter einem khakigrünen
Baseballkäppi zu bändigen versucht; die eine oder andere Strähne schlängelte
sich aber dennoch widerspenstig über ihre Stirn. Sie kam Killian entgegen und
bewegte sich trotz der schweren Gummistiefel mit dem Gang einer Raubkatze über
den gepflasterten Hof.
    Margit war nur ein Jahr jünger als Killian, aber in jeder ihrer
Bewegungen flackerte noch immer die Spannung ungebeugten Trotzes. Killian hatte
Bärbel früher oft heimlich mit Margit verglichen. Immerhin waren beide rothaarig,
und beide hatte er geliebt, wenn auch auf unterschiedliche Arten. Und jetzt
traf er beide plötzlich wieder. Da drängte sich ein Vergleich unweigerlich auf.
Beide besaßen Temperament, und beide waren sie Kämpferinnen. Aber während
Bärbel ihre Sinnkrise offen zugab und sich ihrer nicht schämte, war Margit zum
ewigen Kämpfen verdammt. Sie durfte sich keine Schwäche leisten. Nicht in ihrer
Welt, in der die Gesetze des Patriarchats galten. Weil hier kein Platz war für
Gender-Diskussionen, musste man eben zur Wildkatze werden, die sich manchmal
heimlich selbst die verheulten Augen auskratzte.
    »Morgen«, lächelte Margit und streckte Killian ihre Hand entgegen.
Er erwiderte den Handschlag und spürte trotz des kräftigen Drucks, wie zart
ihre Gelenke waren. Diese Finger hatten sich schon in sein Gesicht gekrallt,
ihm ein blaues Auge versetzt und ihm seine erste Kriegsnarbe ins Fleisch
geschnitten. Aber geschüttelt hatte Killian diese Hand noch nie. Margits Blick
war ebenso fest wie

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