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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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fiebrigen Augen
von zwei Polizisten abgeführt wurde. War sie die Mörderin? Die Polizisten
hatten sie in ihrem Wagen gefunden, vor der Praxis. Sie hatte gezittert, war
vielleicht betrunken oder hatte hohes Fieber und war wohl nicht mehr in der
Lage gewesen, Auto zu fahren. Und als sie ausstieg, hatte sie eine Pistole in
der Hand gehabt. Das hatte Leyla genau gesehen. So, wie sie den erschossenen
Dr. Merz in seinem Blut hatte liegen sehen. Mitten in die Stirn hatte man ihm
eine Kugel geschossen.
    Ein anderer Wagen fuhr heran und bremste scharf vor den Polizisten,
die die rothaarige Frau in das Polizeiauto verfrachten wollten. Leyla kannte
den Mann, der aus dem Audi stieg. Es war Belledin, er hatte früher mit ihren
ältesten Söhnen auf der Straße Fußball gespielt. Dann hatten sich ihre Wege
getrennt. Leyla wollte nicht daran denken. Wenn sie an ihre beiden Ältesten
dachte, dann musste sie weinen. Sie hatte sie länger nicht mehr gesehen.
Angeblich hatten sie untertauchen müssen, weil sie etwas ausgefressen hatten;
aber sie waren gute Jungs. Leyla war froh, dass nicht ihre beiden Söhne
zwischen den Polizisten standen, sondern die rothaarige Frau.
    Margit konnte sich kaum auf den Beinen halten. Alles drehte sich in
ihrem Kopf, er drohte zu platzen. Der Arzt, der eben noch die Todesursache von
Dr. Merz geklärt hatte, kam herbeigeeilt und erkannte sofort, wie es um sie
bestellt war. Er fühlte ihren Puls und attestierte umgehend:
    »Ins Krankenhaus! Bettruhe.« Dann wandte er sich an Belledin: »Tut
mir leid, aus dem Verhör wird wohl nichts vor Montag.«
    Belledin brummte missgelaunt in sich hinein. Er mochte den
Gerichtsmediziner ohnehin nicht. Dr. Meier war ein Pedant und deswegen auch
sehr langsam. Zwar konnte man sich auf seine Befunde stets verlassen, aber er
war keiner, an den man sich wenden konnte, wenn man mal etwas vor Montag
brauchte. Und Belledin brauchte ständig etwas vor Montag. Im Gegensatz zu Dr.
Meier war er eben immer im Dienst.
    Außerdem ärgerte er sich über sich selbst. Schließlich war er
bereits auf dem Weg zu Merz gewesen. Wäre er schneller gefahren, hätte er den
Mord an ihm womöglich verhindern können. Aber er hatte sich nicht getraut,
Vollgas zu geben, aus Angst, irgendein Walker könnte wieder plötzlich vor
seiner Motorhaube auftauchen. Am liebsten hätte er diese Amtshandlungsverhinderer
zur Rente ab achtzig verdonnert. Dann wären sie wenigstens weg von der Straße,
und niemand müsste sie durchfüttern.
    Die Beamten verfrachteten Margit in den Dienstwagen und fuhren mit
ihr davon. Belledin sah dem Wagen nach. Margit war alles andere als dumm. Wäre
sie damals nicht von einem Bandenmitglied, das die Polizei unter Druck gesetzt
hatte, verpfiffen worden, hätte Belledin sie niemals geschnappt. Wieso ging sie
ihm jetzt so einfach ins Netz? Mit der Mordwaffe in der Hand? Jetzt hatte er
eine Leiche mehr und eine Verdächtige, an die er nicht recht glauben wollte.
Ihr Auftritt im Weinberg war zu souverän gewesen, als dass sie sich so einfach
als Lösung seines Falles opfern würde.
    Er blickte auf die Uhr. Wenn er sich beeilte, würde er es noch zur
Lesung schaffen. Aber vorher würde er noch ein paar Fragen an Leyla Melek zu
richten haben.
    * * *
    Killian hatte genug für heute. Mit einigen Fotos war er sogar
zufrieden. Das meiste war durchschnittliche Dokumentation, aber bei manchen
Schüssen war es ihm gelungen, das Licht so einzufangen, dass es der Verwüstung
Poesie einhauchte.
    Es gab viele Kritiker, die ihm diesen schwärmerischen Hang zum
Vorwurf machten. Manche sprachen sogar von »Verherrlichung des Krieges« und
zogen Vergleiche zwischen Killian und Leni Riefenstahl. Am Anfang hatte es ihn
schwer getroffen, dass man ihn in eine Reihe mit der berüchtigten Nazi-Filmerin
setzte. Ihm war es nie darum gegangen, dem Betrachter seiner Bilder die Gewalt
ästhetisch schmackhaft zu machen. Vielmehr hatte er sich auf die Augenblicke
eingelassen, die Zeit und Raum ihm angeboten hatten, und dabei entdeckt, dass
selbst an den grauenvollsten Orten des Schreckens eine zwischenmenschliche
Würde existieren konnte. Und dieses Band zwischen Betrachter und Objekt war
eben jene Poesie, die auf Killians stärksten Fotos zu entdecken war.
    Ein ukrainischer Erntehelfer, den Killian nach Margit fragte, zuckte
mit den Schultern, der Nächste antwortete, dass er die Chefin gesehen habe, wie
sie mit dem Auto davongefahren sei. Killian überlegte, ob er warten sollte, bis
Margit zurückkehrte,

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