Roter Regen
oder ob er ohne Gruß nach Hause gehen sollte. Er hätte ihr
gerne noch ein paar unverfängliche Fragen gestellt.
Die Entscheidung wurde ihm durch einen mit überhöhter
Geschwindigkeit heranbrausenden Cherokee abgenommen. Die Reifen quietschten,
als der Wagen auf dem Hof bremste. Ein aufgelöster Herbert Brenn sprang heraus
und gebärdete sich wie ein Besessener, trat gegen den nächstbesten Blecheimer,
dass dieser beinahe einem Erntehelfer gegen den Schädel geflogen wäre, und
hämmerte dann mit beiden Fäusten auf das Dach des edlen Jeeps.
Er riss sich die dunkelblaue Krawatte vom Hals und öffnete die
beiden obersten Knöpfe seines blau-weiß gestreiften Hemdes. Nachdem er wieder
ausreichend bei Atem war, zog er das Jackett aus, warf es wütend auf den
Pflasterstein und stampfte darauf herum wie ein kleines Mädchen, das bemerkt
hatte, dass seine Puppe ihm im Kampf gegen die erzieherischen Maßnahmen seiner
Eltern auch nicht helfen konnte.
Die Erntehelfer hatten sich mittlerweile außer Reichweite gestohlen,
lediglich Killian stand noch in Brenns Nähe, als dieser mit rot unterlaufenen
Augen über den Hof spähte.
»Killian«, krächzte er; neben seiner Fassung hatte er wohl auch die
Stimme verloren. Er winkte ihn zu sich ans Auto, Killian folgte der
Aufforderung. »Du musch mir helfe … Belledin, des Arschloch, hät Margit
verhaftet … sie soll eine umbrocht ha … mit de Waffe in de Hand hän sie sie
verwischt.«
Killian glaubte, sich verhört zu haben, wagte es aber nicht,
nochmals nachzufragen. Es schien sich tatsächlich ein größeres Drama abgespielt
zu haben, während er sich im Fotografieren der wunden Natur verloren hatte. Er
musste diese Nachricht selbst erst einmal verdauen. Margit sollte jemanden
getötet haben?
Ein Mord war jedem zuzutrauen, das wusste Killian. Wer selbst schon
getötet hatte und wieder töten würde, traute auch jedem anderen Morde zu. Und
bei Margit war sich Killian sicher, dass sie jederzeit fähig wäre, jemanden zu
töten, der die Existenz ihres Weinguts bedrohte. Aber Teil des Planes wäre es
von Margit sicherlich auch, sich dabei nicht erwischen zu lassen, vor allem
nicht mit der Tatwaffe in der Hand. Was Margits Kampfstrategien anbelangte, so
durfte sich Killian durchaus rühmen, sie zu kennen wie kein Zweiter. Und
deswegen glaubte er nicht, dass Margit einen Mord begangen hatte, bei dem sie
sich von Belledin auf frischer Tat hatte ertappen lassen. Sie musste in eine
Falle gelaufen sein.
»Ich hole Margit da raus«, hörte er sich zu Brenn sagen und sah sich
selbst dabei zu, wie er das zertrampelte Jackett vom Boden aufhob und es dem
alten Winzer reichte. Es war eine verkehrte Situation. Der ehemalige Erzfeind
konnte in seiner Verzweiflung nur vom »Plaschtiker« Hilfe erhoffen. Und dieser
gewährte sie ihm mit einem eitlen Gefühl der Genugtuung, obwohl er noch gar
nicht wusste, wie er es überhaupt anstellen sollte.
* * *
Belledin grübelte noch immer über Margits sonderbare Anwesenheit vor
Merz’ Praxis. Aber er kam nicht weiter damit. Vielleicht war es ein Geschenk?
Aber schon Homer hatte gelehrt, dass man trojanischen Geschenken nicht
unbedingt trauen sollte. Mit weniger Skepsis könnte er allerdings hochzufrieden
sein. Er versuchte sich darin und genoss das Straßenpflaster der Freiburger
Innenstadt mit jedem Schritt, mit dem er sich seinem Ziel näherte. Das
Wochenende hatte erst begonnen, und die Mörderin zappelte bereits in seinem
Netz. So konnte man es auch sehen. Egal, was Killians Experten zu Hartmanns
wilden Bauplänen sagen würden, Belledin hatte seinen Fall zu Ende gebracht,
bevor sich das BKA einmischen
konnte. Margit musste nur noch die Morde an Hartmann und Faller gestehen, und
das würde sie. Seinem Verhör würde sie nicht standhalten können. Zumal er sich
durch ihre Grippe Unterstützung versprach. Eine Verdächtige mit geschwächtem
Immunsystem knackte er mit Leichtigkeit. Außerdem hätte er diesmal Heimvorteil.
Margit würde alles unterzeichnen, was er ihr vorlegte. Was sich angelassen
hatte wie eine Hetz gegen die Uhr, löste sich mit einem Mal wie von selbst.
Dass es so einfach war, störte Belledin nicht, ebenso wenig wie die Tatsache,
dass er Margits Motiv für die Morde noch nicht kannte. Er war gerne bereit,
Geschenke anzunehmen und pfiff auf Homer. Zu häufig wartete das Schicksal damit
ohnehin nicht auf. Und er freute sich insgeheim, dass er Margit aufgrund ihres
Fiebers nicht gleich vernehmen durfte und deswegen den Abend
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