Roter Regen
einem Holzstuhl zurück. Da Belledin im Outfit nicht
zum Rest der Gesellschaft passte, war es nur schlüssig, dass auch sein
Sitzplatz mit den anderen Stühlen nicht konform ging. Bader platzierte den
Stuhl hinter den fünf Reihen in einer Ecke, direkt neben einem Bücherregal und
unter einem Poster, auf dem ein maskierter Henker mit einem blitzenden Beil
gerade zum finalen Hieb ausholte.
* * *
Killian war von Brenn aus nicht direkt nach Hause gefahren. Er hatte
einige Schlenker durch den Kaiserstuhl gemacht, ehe er das Atelier ansteuerte.
Die Abendsonne, die durch die Rebzeilen flutete, schmeichelte auch ihm. Er
wusste, dass die warmen Strahlen nur Frieden heuchelten, aber es war ihm egal.
Er lauschte der Musik, die aus den Lautsprechern seines CD -Players ertönte, und erfreute sich an den ironischen und
doch zupackenden Klängen von John Zorns »Spillane«.
Er erreichte die Bruckmühlenstraße. Das Wasser auf der Straße war
verschwunden, nur vergessene Sandsäcke erinnerten noch an den Ausnahmezustand.
Mit einem Satz war er auf der Rampe und öffnete die Schiebetür. Er
wunderte sich, dass sie nicht abgeschlossen war. Noch mehr wunderte er sich
über Jacques Brel, der ihm entgegenträllerte. Nach John Zorn ein heftiger
Bruch. Für einen Moment lang hoffte er, dass Swintha vielleicht überraschend
gekommen wäre, sie besaß als Einzige außer ihm einen Schlüssel fürs Atelier.
Dann lugte ein gut gelaunter roter Schopf aus der Küchennische, der genau
zwanzig Jahre älter als Swintha war: Bärbel.
Killian hatte sie vergessen. Und er hatte sich gewünscht, dass sie
bei seiner Rückkehr nicht mehr da sein würde, aber er musste ein weiteres Mal
erfahren, dass es den Adressaten seiner Wünsche recht egal war, was er sich
ersehnte.
»Salut«, gurrte Bärbel und lächelte entwaffnend. Es war Killian
unmöglich, sie rauszuwerfen. Er hatte keinen Grund. Er hoffte nur, dass auch
ihr bald wieder danach wäre, allein zu sein.
»Hast du Hunger?« Ihre grünen Augen glänzten wie frisch poliertes
Kristall. Killian nickte wortlos. Da war nichts zu machen. Sie war zu charmant,
wenn sie auf Hausfrau machte. Warum sollte er sich nicht von der chronischen
Emanze bekochen lassen? Er würde sich ein Spiel daraus machen, sich wie ein
Pascha bedienen zu lassen. Nicht einen Strich würde er machen. Weder Teller
hinstellen noch abräumen. Einfach nur in die Pantoffeln steigen und Zeitung
lesen. Lange würde Bärbel das nicht ertragen, und schon wäre er sie los.
Aber auch diesen Wunsch schien niemand erfüllen zu wollen. Es
ertönten ein Aufschrei und ein Fluchen aus der Küche, dann kam Bärbel mit dem
Zeigefinger im Mund herausgerannt.
»Hast du ein Pflaster? Scheiße! Der ist tief … was hast du auch für
scharfe Messer!«
Immerhin schwelte bereits in Bärbels Unterton das Kommando Attacke.
Killian ging zu einem Schränkchen, aus dem er Verbandszeug nahm, und begann
Bärbels Finger zu verarzten.
»Soll ich es mit Hypnose versuchen?«, fragte er unschuldig.
Bärbel zog den blutenden Finger sofort aus seinen Händen und steckte
ihn zwischen den einzelnen Worten immer wieder in den Mund, um das Blut
abzulecken. »Nicht so, Freundchen. Mach dich nicht lustig über mich. Und auch
nicht über Thomas.«
Killian hätte nun weiterspielen können. Die Eröffnung war bereits
gezogen. Aber er ließ es sein. Das blitzende Grün, das ihm aus Bärbels Augen
entgegenstach, erinnerte ihn an Margit. »Belledin hat Margit Brenn
festgenommen. Sie soll Dr. Merz erschossen haben.«
Bärbel vergaß ihren Finger und ließ das Blut auf den Atelierboden
tropfen. Sie kannte Margit vor allem aus ökologischen Grabenkämpfen. Die Brenns
waren mitverantwortlich gewesen, dass einige urwüchsige Rebflächen noch in den neunziger
Jahren flurbereinigt wurden. Es war ein Skandal gewesen, und Bärbel hatte mit
ihrer Partei damals versucht, auf den fatalen Raubbau aufmerksam zu machen.
Aber die Demos, Flugblätter und offenen Briefe in der Zeitung hatten wenig
gefruchtet. Als Bärbel dem alten Brenn aus Verzweiflung am Ende noch
vorgeworfen hatte, er habe Beamte der Behörde bestochen, um an seine Ziele zu
gelangen, war sie zu weit gegangen. Vor allem, weil sie ihre ehrabschneidende
Behauptung ohne irgendwelche Beweise geäußert hatte. Das Wespennest, in das sie
gestochen hatte, hatte daraufhin umgehend zum Angriff geblasen und den Grünen
des Bezirks eine saftige Verleumdungsklage an den Hals gesetzt, von deren
Niederlage sich der kleine Verband nur
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