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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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geköpft worden, aber Belledin hatte es
nicht angerührt.
    Biggi war bereits mit ihrer Frauengruppe zum Walking unterwegs.
Belledin hatte sich schlafend gestellt, bis sie aus dem Haus war, dabei hatte
er in Wirklichkeit die ganze Nacht kein Auge zugetan. Der Fall ließ ihm keine
Ruhe. Die drei Toten verfolgten ihn ungereimt. Nichts passte zusammen. Er
befürchtete, dass seine Margit-Tätertheorie sich in Luft auflöste, sobald die
Laborbefunde kamen. Und deshalb hatte er sich mehr auf dem Laken gewälzt, als
darin seinen Schlaf zu finden.
    Nun saß er allein auf der aufgeräumten Terrasse seines schmucken
Eigenheims und starrte auf die Buchsbäumchen, die in Töpfen die Gartenwege
zierten. Einige mussten nachgeschnitten werden. Belledin mochte es nicht, wenn
den kugeligen Bubiköpfen einzelne Haare aus dem Schopf wuchsen. Er ließ den
reichlich gedeckten Frühstückstisch weiterhin unangerührt, stemmte sich aus dem
Stuhl und griff sich die Zangenschere, die er sich extra von Manufactum hatte
schicken lassen, um den Buchsbäumchen die gewünschte Frisur zu verpassen.
    Er liebte diese Art von Gärtnerei. Man konnte wenig falsch machen.
Als Bauer hatte er schon früh versagt, das hatte ihm sein Vater bereits
bestätigt, als Belledin erst fünf Jahre alt gewesen war: »Aber dü nit!« Dieser
Satz hatte sich eingebrannt und hatte ihm im weiteren Verlauf seines Lebens
oftmals im Weg gestanden. »Aber dü nit!« bedeutete so viel wie: »Jeder außer
dir!« Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, ein Aufruf zum Versagen, wenn
es darauf ankam, alles auf eine Karte zu setzen. Immer wieder hatte sie
Belledin davon zurückgehalten, den wirklich großen Schritt zu wagen. Und er
hatte die Möglichkeit dazu gehabt, mehrere Male. Sogar das BKA hatte ihn einst für höhere Dienste
anwerben wollen. Doch er zauderte. Nach außen hin konnte er es mit
Heimatverbundenheit kaschieren, aber in seinem Hirn hatte es geschrien: »Aber
dü nit!« Und er hatte diesem Schrei gehorchen müssen, wollte er seinen Vater
nicht verraten.
    Er hasste seinen Vater dafür, dass er ihn mit dieser psychologischen
Bremse bedacht hatte, die in Südbaden zur folkloristischen Ausstattung gehörte
wie die krachlederne »Mir san mir«-Mentalität zu Bayern.
    Eine Ecke nach der anderen säbelte Belledin mit der soliden Schere
aus dem Haus der guten Dinge, und mit jedem Schnitt glaubte er die Schnürsenkel
seiner anerzogenen Hemmschuhe zu durchtrennen. Erleichterung machte sich breit,
die aber sofort wieder wich: Der Buchs würde wieder wachsen, die anerzogenen
Muster ebenfalls. Man konnte nicht einfach mit der Prägung brechen, ohne an ihr
zum Mörder zu werden. Und Belledin hatte sich schon vor langer Zeit dafür
entschieden, auf der anderen Seite zu kämpfen. Er verteidigte die alten Werte,
selbst wenn darunter widersinnige Sprüche der Gattung »Aber dü nit!« fielen.
    Killian war da anders gewesen. Er hatte alles abstreifen können,
sogar den südbadischen Akzent. Aber Killian war auch ein »Plaschtiker«, kein
echter Kaiserstühler, ein Mischling. Und denen durfte man nie trauen. Belledin
merkte, wie der Groll gegen seinen Vater sich nun gegen Killian wandte.
    Jetzt hatte er sich aber richtig verschnitten. Ein dicker Zweig, aus
dem man sicherlich einen edlen Bauern für ein Schachspiel hätte schnitzen
können, baumelte an der letzten Faser aus dem kugeligen Buchs. Belledin
erschrak darüber und riss den Zweig dann missmutig ab. Nun packte ihn wieder
Groll, und er feuerte die Schere ins Rosenbeet, wo sie im überfeuchten Grund
verschwand.
    Belledin fluchte und kroch in die Rosen. Er packte die schlammig
verschmierte Schere und stach sie zornig immer wieder in den Grund. Er drückte
sein Gesicht in den aufgelockerten dunklen Brei und schrie hinein; Herzenspein
übertraf den Halsschmerz. Als er nach Atem ringend wieder aus dem Schlamm
auftauchte, war sein Gesicht schwarzbraun verschmiert, sodass er wie ein
rasender Othello in einer Thalheimer-Inszenierung wirkte.
    Erschöpft ließ er die Schere fallen und warf sich keuchend auf den
Rücken. Durch die Blütenblätter einiger Rosen verfolgte er das Spiel der
Wolken, die sich erbarmt hatten und ihren Weg in andere Gefilde antraten.
Folgten sie dem Ruf eines Regenmachers oder reisten sie aus eigenem Impuls? Wer
gab ihnen den Weg vor? Die Winde? Und wer war Herr über die Winde? Gab es Gott?
Belledin bekreuzigte sich. Er war ein aufgeklärter Mensch und dennoch Katholik.
Irgendjemand hatte gesagt, man konnte das

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