Roter Regen
auf einmal und
stand außer Atem auf Anke Prückners Fußabtreter. Die Wohnungstür wurde ihm
geöffnet. Belledin hätte Anke am liebsten in den Arm genommen, als hätte er sie
in letzter Sekunde aus den Waldbränden Kaliforniens gerettet. Aber es war ja
überhaupt nichts passiert. Nur sein dringender Wunsch, der Frau, in die er sich
verliebt hatte, zu zeigen, dass er ein Held war, trieb mit ihm Schabernack.
Anke stand schüchtern im Flur der geräumigen Altbauwohnung und rang
sich ein verunsichertes, dankbares Lächeln ab. Von Maria Bava war sie
Jahrhunderte entfernt.
»Entschuldigen Sie bitte, normalerweise bin ich nicht so ängstlich.
Aber es ist ein Unterschied, ob die Toten in meinen Geschichten ihr Unwesen
treiben oder ob sich jemand bei mir meldet, der ein Mörder sein könnte.«
Belledin nickte verständnisvoll. Anke hätte jetzt auch behaupten
können, die Erde sei eine Scheibe, er hätte nicht anders reagiert. Er vernahm
nur die angenehm schmeichelnden Laute, die aus ihrem Mund an sein Ohr drangen.
»Wollen Sie einen Kaffee?«
Belledin nickte. Anke reichte ihm ihr Handy und verschwand in der
Küche.
Belledin las inzwischen die SMS : Ich weiß, dass du die Liste hast. Gib sie her, sonst bist du die Nächste.
Das war alles. Belledin überlegte. Sollte er Ankes Handy überprüfen
lassen, um festzustellen, von wo aus die Nachricht gesendet worden war? Sie
konnte von jedem Rechner zwischen Bangkok und Freiburg-Haslach aus geschickt
worden sein, die Mühe würde sich vielleicht nicht lohnen. Und heute war
Sonntag, Selinger würde keinen Finger krümmen. Es konnte eine ernste Sache
sein, aber auch nur ein Streich. Am besten war, er würde sich selbst um Ankes
vorläufigen Schutz kümmern, so weit das machbar war.
Er war froh, dass es diese SMS gab. Er hätte nicht gewusst, unter welchem Vorwand er sie sonst noch mal hätte
treffen können. Und er wollte sie treffen, unbedingt. Er wollte Anke
kennenlernen, aber auch Maria Bava, und er wollte die erotische Spannung
genießen, die zwischen diesen beiden Polen surrte.
Aber die SMS stimmte
ihn auch nachdenklich. Trotz verliebter Pennälerträume war er noch immer
Polizist. Margit war für ihn die Hauptverdächtige, auch die kurze Vernehmung
von Leyla Melek hatte ergeben, dass außer Margit niemand am Tatort gesehen
worden war. Gut, Leyla Melek sprach schlecht Deutsch, und wenn sie mit Belledin
redete, war ihr einziger Gedanke, das Gespräch nicht auf ihre beiden ältesten
Söhne zu lenken; aber wenn sie irgendetwas mitbekommen hätte, was Margit
entlastete, dann hätte Leyla es gesagt. Es blieb also nur Margit. Wer mit der
Mordwaffe in der Nähe einer Leiche gefunden wurde, den musste man einfach der
Tat verdächtigen. Aber hatte sie auch Hartmann und Christa Faller ermordet?
Oder gab es da noch einen anderen Täter? Welche Verbindung bestand überhaupt
zwischen den drei Morden? Belledin musste sich eingestehen, dass die
Gradlinigkeit, die er sich gewünscht hatte, krampfhaft erzwungen war, damit er
statt drei Fällen nur einen hatte, statt möglichen drei Tätern, nur den einen.
Er hatte es nicht bedacht, aus Angst, das BKA würde ihm den Fall entziehen. War er am Ende seinen eigenen Wünschen auf den
Leim gegangen? Herrgott! Er drehte sich im Kreis! Trat auf der Stelle wie auf
einem Laufband jener Fitnessstudios, die Biggi mittlerweile besuchte. Jetzt
befürchtete er, dass jemand das Gerät so schnell einstellen würde, dass er sich
noch nicht einmal mehr auf dem Band halten konnte. Es war einfach unmöglich für
ihn zu ermitteln und gleichzeitig frisch verliebt zu sein. Aber er riss sich
zusammen und dachte angestrengt nach.
Was für ein Motiv hatte Margit gehabt, Dr. Merz zu töten? Sie hatte
Fieber, war zu ihm gekommen, um von ihm ärztliche Hilfe zu bekommen. Dass er am
Samstag in der Praxis gewesen war, konnte Zufall gewesen sein, aber vielleicht
hatten sie sich auch dort verabredet. Warum? Was wollte Margit von ihm, wenn es
nicht nur Medikamente gewesen waren? Etwa die Liste, von der in der SMS die Rede war? Was war das für eine
Liste? Und warum sollte Merz sie Margit geben? Und warum hatte sie ihn dann
umgebracht? Damit er nichts mehr verraten konnte? Aber was konnte er verraten?
Blödsinn. Er begann sich schon wieder zu vergaloppieren. Was hatte
die SMS auf Ankes Handy mit Margit
zu tun? Überhaupt nichts! Warum wollte er hier einen Zusammenhang konstruieren?
Er brummte unwillig. Es war ihm alles zu viel. Er brauchte Urlaub. Die anderen
nahmen
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