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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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sein, und Belledin war froh darüber
und hinterfragte die Widersinnigkeit nicht. Er rechtfertigte vielmehr seine
Maxime: Man konnte fremdgehen und dennoch treu sein.
    Genau hier drückte nämlich der Schuh. Die Verliebtheit zu dem
Irrlicht Prückner-Bava ließ ihm keine Ruhe. Das Glas Wein mit ihr am gestrigen
Abend nach der Lesung hatte ihn trunkener gemacht als all die einsamen
Besäufnisse, die er sich im Ledersessel vor dem Fernsehgerät mit Rémy Martin
gegönnt hatte, um dem Grau des Alltags zu entkommen.
    Zwei kleine Wolken verschmolzen gerade zu einem einzigen Wesen, und
Belledin war sich nicht zu schade, darin ein Bild sexueller Verschmelzung zu
erkennen. Er seufzte neidisch in den Himmel und spürte, wie sich allmählich die
Feuchtigkeit durch sein Jackett fraß. Gleichzeitig brummte sein Handy in der
Innentasche. Belledin richtete sich auf und kontrollierte das Display. Die
Nummer des Anrufers war unterdrückt. Er zögerte. Er hatte frei. Erst am Montag
wollte er wieder Polizist sein. Aber vielleicht war es Anke Prückner? Er musste
sich entscheiden; noch ein weiteres Brummen, und die Mailbox würde anspringen.
Er wollte das Schicksal entscheiden lassen. Wenn es tatsächlich Anke war, wäre
das für ihn ein Zeichen, seinen Gefühlen nachzugehen.
    »Belledin?«, krächzte er. Seinem Hals wollte es einfach nicht besser
gehen, obwohl er sich zwei von den antibiotischen Tabletten, die ihm der
Gerichtsmediziner verordnet hatte, über Nacht eingeworfen hatte. Er lauschte.
Am anderen Ende antwortete niemand.
    »Hallo?« Belledin musste sich sehr anstrengen, um zu sprechen, daher
wurde er wütend darüber, dass ihm niemand antwortete. Zumal er auf einen Wink
des Schicksals gehofft hatte.
    »Hallo!«, wiederholte er, und mit einem Schlag klarte sein Gesicht
auf, als hätte er die lang erbettelte und von den Eltern pädagogisch für
bedenklich befundene vierte Generation der Playstation doch noch zu Weihnachten
geschenkt bekommen.
    Am anderen Ende der Leitung sprach Anke Prückner. Oder war es eher
die Stimme von Maria Bava? Belledin wusste es nicht, es war ihm auch einerlei.
Ihm war es Katzenschnurren und Engelschor in einem. Es kostete ihn Mühe, auch
dem Inhalt des Gesprochenen zu folgen. Denn dieser war alles andere als
privater Flirt, sondern erinnerte Belledin wieder an seine Funktion als
Kommissar.
    »Ja, ich komme sofort. Haben Sie keine Angst. Ich bin gleich da.«
Belledin steckte das Handy ein und kroch aus den Rosen. Rasch eilte er ins
Haus, als ihn ein schriller Schrei erstarren ließ. Es war Biggi, die in ihrer
eng anliegenden Ballonseide mit den Walkingstöcken in der Luft fuchtelte:
»Bisch du wahnsinnig? Zieh sofort die dreckige Schuh us! Un was häsch du mit
dienem Anzug gmacht? Des krieg ich jo nie meh rus!«
    Belledin und Biggi starrten sich an, als wären sie beide aus
verschiedenen Galaxien und keiner wüsste vom anderen, ob er einer
intelligenteren Spezies angehörte. Endlich war es Biggi, die erneut die
Initiative ergriff. Sie schüttelte liebevoll den Kopf, ganz wie in der
Waschmittelwerbung: »Du bisch un bliebsch ä Lusbu.« Wie ein Magier zauberte sie
aus der Luft einen feuchten Lappen hervor und wischte damit Belledin den Matsch
aus dem Gesicht.
    Belledin hob hilflos die Arme, um seinen Teil der Rolle ebenfalls zu
erfüllen, dann fiel ihm wieder ein, dass er dringend losmusste. Er missachtete
Biggis zweiten Alarmschrei und rannte zur Anrichte, auf der er den
Autoschlüssel abgelegt hatte.
    »’s isch dringend.« Und schon war er aus der Wohnungstür.
    * * *
    Das letzte Mal, dass Killian ein Krankenhaus betreten hatte, war
kurz vor Rohinas Tod gewesen. Starr hatte sie ihn angesehen, während er hilflos
neben der Bahre hergerannt war und an alle Götter gebetet hatte, an die er
längst nicht mehr glaubte. Er hatte laut geschrien, als die Ärzte ihm sagten,
dass es für Rohina keine Chance mehr gäbe. Zu viel der inneren Organe hatte die
Explosion zerfetzt, zu ungnädig hatte es das Schicksal gemeint.
    Killian war keine fünfzig Meter entfernt gewesen. Auch er hätte auf
der anderen Seite des Hauses einsteigen können. Aber es hatte nicht ihn,
sondern Rohina erwischt. So wie es immer die anderen um ihn herum erwischt
hatte. Oft hatte er sich gewünscht, es möge ihn zerfetzen oder eine verirrte
Kugel würde die Fragen in seinem Hirn zum Schweigen bringen. Aber je mehr er
sich den Tod ersehnt hatte, umso weniger schien dieser an ihm Interesse zu
haben. War an dem alten Samuraispruch doch

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