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Roter Regen

Titel: Roter Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moritz
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erste Jahr, in dem er sich als
leidenschaftlicher Hobbywinzer versucht hatte. Auch der erste Mirabellenschnaps
hatte damals nach verbranntem Holz geschmeckt. Jetzt kräuselte er sich am
hinteren Gaumen und glitt hinunter wie auf einer Spur warmen Öls. Wagner war
stolz auf seinen Mirabell, und er wusste, dass sein Wein eines Tages ähnliche
Qualitäten aufweisen würde.
    Er suchte auf Belledins Schreibtisch nach Lesbarem. Es war nie gut,
wenn die Zeitung den Bericht vor Wagner schrieb. Aber diesmal war alles so
schnell gegangen. Erst drei Leichen, dann die mögliche Mörderin auf frischer
Tat gefasst und schließlich deren Flucht samt Großfahndung. Und das alles am
Ende einer niederschmetternden Weinlese. Natürlich hätte Wagner den Urlaub
verschieben müssen. Aber wie hätte er das verantworten können? Hätte er die
restlichen Trauben auch noch am Stock verfaulen lassen sollen? Das hätte
unterlassener Hilfeleistung geglichen.
    Jetzt hinkte er dafür natürlich mit dem Bericht weit hinterher, den
er aus den Notizen Belledins zu erstellen hatte. Der Chef hasste es, die
Berichte selbst zu verfassen, also blieben sie an Wagner hängen. Normalerweise
machte ihm das nichts aus, im Gegenteil; er zog es bei Weitem vor, über die
Fälle zu berichten, anstatt sie selbst zu lösen. Aber auf Belledins
Schreibtisch waren keine Notizen zu finden.
    »Dieser Schlamper!«, verfluchte Wagner seinen Chef und genehmigte
sich darauf ein Gläschen gebrannten Obstes. Dann entschied er, sich die
Hauptinformationen aus den Zeitungen zu holen. Es war zwar ein unorthodoxer
Weg, die sachliche, objektive Wahrheit zu protokollieren, aber was blieb Wagner
anderes übrig?
    In der Badischen Zeitung war ein großer Artikel erschienen – samt
Foto der Weinkönigin Silke Brenn. Es war ein gefundenes Fressen für die
Lokalpresse, dem verhassten Weinbaron eins auszuwischen. Und auch Wagner
ertappte sich dabei, wie er sich mit den Kleinwinzern solidarisierte und sich
schadenfroh die Hände rieb.
    Der Artikel listete alle Schandtaten auf, die Herbert Brenn
vorgeworfen wurden: über die Haifischtaktiken des Großgrundbesitzers bis hin
zum Raubbau an der Natur; dass sie ihm nicht auch noch die Bankenkrise
unterjubelten, war alles. Nur ein Wunder konnte Brenn vor dem Ruin retten.
Margit kam ebenso schlecht weg, schließlich war sie für die Zeitung bereits die
Mörderin. Wagner, der den Medien grundsätzlich misstraute, zweifelte hingegen
an einem Dreifachmord der Winzertochter. Noch nicht einmal den einen Mord
hatten sie ihr bislang nachgewiesen. Jedenfalls hatte Wagner keine Notizen oder
Vernehmungsprotokolle auf Belledins Schreibtisch gefunden, die darauf
hinwiesen. Mit ihrer Flucht unterschrieb sie allerdings ihr Geständnis.
Jedenfalls für den letzten Mord. Das sah Wagner ebenso.
    Was er allerdings nicht verstand: Warum bildeten sie ein Foto von
Margits Schwester ab anstelle der Flüchtigen?
    »Sex sells«, brummte es hinter Wagners Rücken. Es war Belledin, der
ihm über die Schulter schaute. »Die süße Silke verkauft sich einfach besser.
Eine Killerüberschrift im Zusammenhang mit einem Foto von Angelina Jolie erhöht
die Auflage. Und was schreiben sie? Wissen sie auch, wo wir Margit finden?«
    »Ich schätze, sie flieht ins Ausland«, phantasierte Wagner wie ein
Schüler, der seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte und nun mit Gewalt
irgendetwas zum Besten geben wollte.
    Belledin grunzte und überlegte, ob ihm ein Schluck von Wagners
Schnaps die Kehle befreien würde. Aber ein Klopfen am Türrahmen des Büros ließ
ihn die Entscheidung verschieben.
    Es war Bärbel.
    »Guten Morgen«, sagte sie, und Belledin hatte sofort ein schlechtes
Gewissen. Er hatte gestern Abend noch bei ihr vorbeifahren wollen, um das Foto,
von dem sie ihm am Telefon berichtet hatte, abzuholen. Aber nach der Entdeckung
von Margits Flucht und der hektischen Einleitung der Großfahndung war er nur
noch froh gewesen, sich mit einem Rémy Martin in den Schlaf zu wiegen.
    »Es geht um Thomas Hartmann«, sagte sie schlicht.
    Belledin wandte sich an Wagner. »Ich brauche eine kleine Einheit, um
Brenns Weingut noch einmal zu durchsuchen. Ist bereits von oben genehmigt.«
    Wagner wusste, was er zu tun hatte, und verschwand aus dem Büro. Er
liebte einfache Anweisungen. Je weniger er selbst zu entscheiden hatte, umso
besser. Vor allem freute er sich, dass er sich nicht mit ausländischen Behörden
herumschlagen musste. Wenn Belledin nämlich seiner aus der Luft gegriffenen

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