Roter Regen
er sie geschnappt hatte, würde er
sie so lange ausquetschen, bis sie ihren Komplizen verraten hätte, der die SMS an Anke geschickt hatte. Es musste
ein Zusammenhang zwischen Margit und Ankes Bedrohung bestehen, weil Belledin es
so wollte. Vielleicht hatte er sogar Glück mit seiner Theorie. Ein paar Fakten
sprachen schließlich auch dafür. Margit war keine Unbekannte, vielleicht arbeitete
sie sogar organisiert mit Leuten von einst zusammen? Er würde Wagner darauf
ansetzen, nach den alten Mitgliedern der Zora-Bande zu recherchieren.
* * *
Zum Glück hatte einer der Oberärzte ein Faible für ältere Autos.
Margit hatte einen VW -Käfer aus
den siebziger Jahren erwischt, der sehr leicht zu knacken war und auch noch
kein Lenkradschloss besaß. Nach Hause würde sie nicht können, das wusste sie.
Aber wenn sie es bis in die Weinberge schaffte, ehe Belledin Alarm schlug, dann
kannte sie schon ein paar Plätzchen, an denen sie erst einmal sicher war.
Sie war noch immer geschwächt, aber das Antibiotikum hatte das
Fieber immerhin so weit gesenkt, dass sie sich für eine Weile konzentrieren
konnte.
VIER
Killian hatte unruhig geschlafen. Erst gegen vier Uhr morgens
war es ihm gelungen, in eine Tiefschlafphase zu gleiten.
Umso jäher schreckte ihn nun das Poltern hoch, das von der
Schiebetür des Ateliers zu ihm herüber dröhnte. Er hatte auf dem Sofa
geschlafen, in Kleidern; es war für ihn nichts Außergewöhnliches. Er war es
gewohnt, nicht in normalen Betten und seidenen Pyjamas zu nächtigen.
Killian öffnete die Schiebetür und fand einen aufgelösten Herbert
Brenn vor sich. Wo war all die Souveränität des Weinbergdogen geblieben?
Zitternd und mit bebender Unterlippe, geradezu sabbernd stammelte er seine
Worte.
»Sie isch abghaue … jetzt isch alles vorbei …«
Killian wich einen Schritt zurück. Er selbst mochte auch nicht
besonders frisch riechen nach einer Nacht in Klamotten. Aber Brenn hatte
offenbar ebenso wenig geschlafen, dafür umso mehr gesoffen.
»Kaffee?«, fragte Killian trocken.
Brenn nickte und schnaufte schwer dabei. Die Ereignisse und die
einsam durchzechte Nacht hatten ihm den Putz von der Fassade geklopft. Jetzt
glich er all den anderen abgerackerten Winzern, die in der Mühle des Marktes
zermalmt wurden.
Killian bat ihn herein und schob ihm einen Sessel hin. Er wollte
nicht, dass sich Brenn auf das Sofa setzte. Vielleicht weil er mit Bärbel eine
schöne Nacht darauf verbracht hatte, aber es war auch seine kleine Insel, auf
die er sich zurückzog, wenn er in sich ging, Musik hörte oder eben mit lieben
Menschen Augenblicke teilte.
Mit Herbert Brenn hatte Killian keinen Augenblick zu teilen. Mit
Margit wäre das etwas anderes gewesen. Sie würde Killian auf seinem Sofa gesund
pflegen und für die Ruhe sorgen, die dieses gehetzte Wild so sehr verdient
hatte. Aber Brenn war nur in eigenem Interesse hier. Es ging ihm nicht um
Margit, sondern um den Flurschaden, den sie durch ihre Aktionen verursachte.
Brenn hatte noch nie in systemischen Zusammenhängen gedacht. Für ihn waren
Läuse und Pilzbefall an den Weinstöcken niemals Folge einer Monokultur oder
Flurbereinigung, geschweige denn einer chemischen Überdüngung. Sie tauchten aus
purer Bosheit auf und mussten vernichtet werden. Je härter die Keule, desto
besser. Und so dachte Brenn auch jetzt. Der Fall musste aus dem Weg geräumt
werden. Margits Unschuld musste bewiesen werden, ihr psychischer und
gesundheitlicher Zustand war sekundär. Killian unterstellte Brenn sogar, dass ihm
ein posthumer Freispruch Margits noch gelegener käme, weil er dann eine
Märtyrerin aus ihr machen konnte. Bei diesem Gedanken schüttelte es ihn aus
Ekel vor dem raff- und machtgierigen Winzerbaron.
Dieser kauerte auf dem angebotenen Stuhl und zeterte: »Die dumm Kuh,
wie kann ma nur so blöd sie? Warum haut die einfach ab? Jetzt kann ich d’
Hochziet für d’ Silke vergesse … jetzt isch alles hie … Wofür hab ich gschafft,
vierzig Johr lang? Dass so ä trockne Jungfer mir alles kaputt macht? Die blöd–«
»Es reicht«, schnitt Killian ihm scharf das Wort ab. »Was willst du
von mir?«
Brenn blickte ihn stumm an, zuckte dann mit den schweren Schultern
und begann sich in Selbstmitleid zu tränken. Sein massiver Oberkörper bebte,
und er fing an zu heulen.
Killian hatte genug. »Du gehst jetzt besser.«
Mit einem Schlag versiegte Brenns Tränenfluss. Er blickte zu Killian
auf, und sein wässriger Blick bekam wieder die Kälte des
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