Roter Regen
Vermutung
gefolgt wäre, hätte dies angestanden. So durfte er sich darauf freuen, das
modernste und ertragreichste Weingut Deutschlands zu durchforsten. Nichts
lieber als das.
Belledin bot Bärbel einen Stuhl an. Sie setzte sich, und er ließ
sich ebenfalls hinter seinem Schreibtisch nieder. Er zupfte sich kurz am
Schnäuzer und hob dann fragend die schwarzen Bürsten über seinen Augen.
»Wir hatten gestern eine Verabredung, schon vergessen?« Bärbel zog
das Bild aus ihrer Jacke und schob es über den Schreibtisch zu Belledin.
Dieser blickte es an. »Tut mir leid, dass ich gestern nicht mehr
vorbeigekommen bin. Aber der Fall nimmt Ausmaße an, die unsere Logistik zu
sprengen drohen«, entschuldigte er sich nuschelnd. Dann widmete er sich
konzentriert dem Foto. Er erkannte sofort, dass es sich bei dem Motiv um einen
Wasserkristall handelte, und er ahnte auch den Namen, den Hartmann ihm
gegeben hatte:
»Roter Regen«, murmelte er.
»Auf der Rückseite stehen Zahlen. Vielleicht sind die wichtig?«,
sagte Bärbel und rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her.
Belledin drehte das Foto um und las die Ziffern und Zahlen, die
Hartmann mit der Hand aufgeschrieben hatte. Dann schloss er die Augen und
begann zu kombinieren: Er war sich sicher, dass es sich um das Foto handelte,
das in Hartmanns Praxis fehlte. Hartmann hatte es mit in die Toskana genommen,
weil er es aus irgendwelchen Gründen nicht in der Praxis zurücklassen wollte.
Und dann hatte er es Bärbel in das Lehrbuch geschoben. Er hätte es ebenso gut
Christa Faller geben können. Hatte er kein Vertrauen zu ihr gehabt? Was hatten
die Zahlen zu bedeuten? Belledin wurde blass: die Liste! Das war die Liste, die
der Unbekannte von Anke Prückner via SMS gefordert hatte! Der Täter vermutete, dass Anke das Foto besaß, weil auch sie
eine Studentin Hartmanns gewesen war. Wenn der Täter aber noch SMS verschicken konnte, dann konnte es
nicht Margit sein. Margit musste einen Verbündeten haben, vermutlich ihren
Vater. Belledin war sich sicher, dass es sich bei den Zahlen um einen
Konten-Code handelte. Und vielleicht brauchte Brenn Geld? Er hatte im letzten
Jahr viele Weinparzellen hinzugekauft, groß investiert. Die Banken würden ihre
Darlehen und Zinsen fordern. Vielleicht hatte sich Brenn übernommen wie so
viele, die in letzter Zeit plötzlich aus dem Nichts Insolvenz anmeldeten?
Mit einem Mal hatte es Belledin eilig. Er sprang aus dem Stuhl und
griff die Autoschlüssel. »Danke, du warst mir eine große Hilfe, Bärbel. –
Wagner!«, brüllte Belledin, und sofort rächten sich die Streptokokken mit
tausend Nadelstichen. Belledin schluckte, dann hetzte er aus dem Büro.
Drei Streifenwagen mit Blaulicht und der schnittige Audi Belledins
fegten über die improvisierte Holzbrücke auf Brenns Weingut zu. Es waren genau
diese Momente, die Belledin am meisten genoss. Die Jagd nach der Beute. Die
Gewissheit, dass die Falle gleich zuschnappte. Er würde Brenn unter Druck
setzen, dann würde dieser schon auspacken und gestehen.
Die Streifenwagen bremsten quietschend vor dem Wohngebäude ab. Der
Audi mit Wagner auf dem Beifahrersitz stand der Action in nichts nach. Die
Uniformierten sicherten das Gebäude, während Belledin auf den Hauseingang
zusteuerte.
»Wagner, mit zwei Leuten zur Scheune!«, befahl er, ehe er an der
Schiffsglocke bimmelte, die vor Brenns Tür baumelte. Belledin fragte sich
gerade zerstreut, woher dieses Accessoire wohl stammen mochte, als ein
Aufschrei von der Scheune her zu ihm drang.
Belledin eilte sofort hinüber und sah den am Strick baumelnden
Brenn. Die zwei Polizisten und Wagner standen mit aufgerissenen Mündern unter
dem schlaffen Leib.
»Hängt ihn ab! Schnell!«, rief Belledin den beiden versteinerten
Beamten zu, während er selbst in seiner Hosentasche nach einem Taschenmesser
suchte. Wenn Brenn sich beim Sprung in die Schlaufe nicht das Genick gebrochen hatte,
war er vielleicht erst ohnmächtig und noch zu retten. Da er in der Hosentasche
nicht fündig wurde, riss er die Axt aus dem Hackklotz, kletterte damit die
Sprossen der Leiter hoch, die Brenn für seinen Aufstieg zum Querbalken
ebenfalls benutzt hatte, und durchtrennte mit zwei Hieben das Seil, an dem er
baumelte. Der leblose Körper fiel überreif nach unten, wo ihn die beiden
Beamten so aufzufangen versuchten, dass er nicht auf die Erde krachte. Sie
ließen ihn vorsichtig auf den Boden gleiten und untersuchten ihn.
»Der isch hinüber, Chef«, konstatierte einer der
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