Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
gleicher Farbe –, die zu einem
vielfarbigen Schimmern verschmolzen. Obgleich die Gestalt nicht
größer als Lee war, schien sie aus der Ferne auf ihn
herabzusehen, ihr Blick brannte durch eine Maske, die
überschäumte vor Zahlen und Figuren, wie der
unablässige Fall einer vireninfizierten Datenbasis. Als Lee den
Bogen erreichte, hob die Gestalt die Hand und winkte ihn heran.
    Vette umklammerte Lees Schulter, hart genug, um sie zu
zerquetschen.
    Er fragte: »Siehst du sie?«
    »Ist es ein Soldat deiner Leute?« Vettes leise heisere
Stimme konnte durch die Intervalle zwischen den Trommelschlägen
wiedergewonnen werden. Lees Viren taten dies, ohne daß er es
bemerkte.
    »Nein. Wenigstens halte ich ihn nicht für einen Soldaten
von der Art, wie du meinst.«
    »Ein paar dieser Dinger würden eine Armee
überwältigen«, sagte Vette mit Ehrfurcht.
    In jenem Augenblick ging Lee auf, daß sie ihn nicht
verlassen würde und daß sie tapferer war als er.
    Er sagte: »Vielleicht, jedoch nicht in dieser Welt. Es gibt
eine Welt hinter der, die wir kennen. Deine Leute sind niemals dort
gewesen, aber für viele von meinen Leuten ist sie die
Heimat.«
    »Unsere Toten werden wiedergeboren. Eure nicht?«
    »Ich meine nicht die Toten«, sagte Lee.
    Die Gestalt streckte den Arm aus, und dann fiel der Saum ihrer
wirbelnden Flickenrobe zurück, um die gekrümmten kleinen
Finger zu enthüllen. Keine menschlichen Finger, sondern eine
gebogenen Klaue, die jäh wuchs und wuchs. Ihre scharfe Spitze
berührte Lee an der rechten Schläfe – dem Endpunkt der
dreifach brennenden Akupunktur-Linie.
    Alles taumelte davon, und plötzlich befand sich Lee
irgendwoanders.

 
     

----
66
     

----
     
     
    Ein Hitzefleck pulsierte an Lees Schläfe, wo ihn die Klaue
der Gestalt gestochen hatte. Er stand am Ufer eines weiten Flusses
oder Sees aus Nebel, der an ihm vorüber in den Himmel
floß, und während er stieg, bog er sich herum, so
daß er einen Kreis bildete und Himmel und See auf ewig eins und
ohne Ende waren. Komplizierte Litzenmuster aus goldenem Licht lebten
in den Dampfwirbeln, deren Muster sich immerfort veränderte und
in einem Gefolge von flüchtigen Stäubchen funkelte. Sie
verschmolzen zu einem allgemeinen Schimmer, worin fünf dunkle
Gestalten schwammen.
    - Die Inseln der Seligen.
    Die Stimme war direkt in seinem Kopf. Es war Miriams Stimme, klar,
jedoch entfernt, als würde sie über ein Glasfaserkabel von
irgendeinem fernen Stern übertragen.
    - Der Inseln der Seligen sind fünf an der Zahl. Sie werden
benannt Tai Yu, Yuan Chiao, Fang Hu, Ying Chou und Peng-lai.
Einstmals trieben sie durch das ganze Universum, doch dann wurden sie
verankert und jede ruht jetzt auf den Köpfen von drei
großen Atlas-Schildkröten. Dort wohnen jene, welche die
Unsterblichkeit errungen haben, oder welche wiedergeboren werden,
oder welche in einen höheren Zustand übergehen. Es sind die
weißen Männer und Frauen, die in Palästen aus Gold
und Silber wohnen, und li chih essen, den Pilz der
Unsterblichkeit, und Jadewasser trinken.
    Lee rief in den Dunst hinein, rief nach dem Bibliothekar, aber er
wußte, daß er sich in keinem Teil des bekannten
Informationsraums befand, er war jenseits der Grenzen, wo die Toten
wohnten. Er war im Himmel.
    Ein Stern leuchtete hoch droben auf, wie als Antwort auf seinen
Ruf, und wurde rasch heller, als er durch brodelnde Dünste
stürzte. Er hatte die Gestalt eines Menschen und glühte wie
ein Glasgefäß, worin eine große Lampe gefangen ist.
Dann flammte sein Licht auf, und als Lee wieder sehen konnte, stand
Miriam Makepeace Mbele vor ihm.
    Sie trug einen schwarzen Overall mit vielen Taschen. Ihr dunkles
Gesicht zerknitterte zu einem Grinsen. Ihr geschorener Schädel
war narbenlos. »Tut mir leid, das«, sagte sie.
    »Bin ich in meinem Kopf?«
    Sie lachte. »Dort bist du stets gewesen. Du bist noch nicht
über jenen Zustand hinausgegangen, noch nicht.«
    »Ich meine, ich habe geglaubt, du wärst dort.«
    »Dort bin ich noch immer, oder wenigstens der
virusübertragene Teil meines eigenen Selbst ist dort. Aber ich
bin hier, Wei Lee, jenseits von Leben und Tod. Der alte Computer in
der Lamaserie hatte überallhin Verbindungen – hierher bin
ich gegangen, als du ihn zerstört hast.«
    Lee wich zurück. Seine Furcht mußte sich auf seinem
Gesicht gezeigt haben, weil Miriam lachte. »Ich bin auf der
Seite der Engel«, sagte sie. »Mehr oder weniger. Ich werde
dein Bibliothekar sein, wenn du mich das sein läßt.

Weitere Kostenlose Bücher