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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Komm.
Vieles muß dir gezeigt werden, und es ist nicht genügend
Zeit.«
    Sie nahm ihn bei der Hand (da erinnerte sich Lee an Vette), und
Dunst und abgehackte goldene Muster umströmten sie beide. Sie
flogen in einem wilden Schritt durch den Dunst, obgleich sie
lediglich zu schlendern schienen. Innerhalb weniger Herzschläge,
ehe Lee eine andere Frage hätte formulieren können, schwoll
die dreifache Bergspitze der nächsten Insel an und wurde klar
und deutlich. Die beiden anderen Inseln waren schwach erkennbar, und
Formen, welche die weltentragenden Schildkröten sein
mußten, schwammen in dem Dunst unter ihnen.
    Miriam drückte ihm die Hand. Sie standen im Dunst, hoch
über der Insel, ein gutes Stück von ihrer Küste
entfernt.
    »Einstmals waren es fünf: jetzt sind es drei. Tai Yu und
Yuan Chiao sind Wind und Wellen preisgegeben worden, als eine Riesin
in den See gewatet ist und die Schildkröten mit einer Treibleine
an den Haken genommen hat. Als sie sechs davon gefangen hatte, warf
sie sich diese über den Rücken und watete davon: in drei
Schritten war sie verschwunden. Ohne ihre Schildkröten, die sie
stützten, wurden Tai Yu und Yuan Chiao von der Strömung
erfaßt und trieben ins Eis. Stelle dir, Lee, die Isolation der
armen Seelen jener Inseln einmal vor, die in gestaltlosem, erfrorenem
Weiß gestrandet sind.«
    »Wer sind sie, diese Einwohner, diese Seelen?« Aber er
wußte es. Es waren die Toten. »Dies alles ist eine
Metapher, nicht wahr?«
    »Alles ist es selbst, und der Schatten, den es auf die Welt
wirft, und die Schatten, die von der Welt auf es geworfen werden.
Hier sind die Drei eins.«
    Lee zitterte. Er fühlte sich, als wäre er nackt
ausgezogen und in einen Schmelzofen geworfen worden, und er
hätte nur seinen Glauben, um sich zu retten. Dennoch konnte er
nicht einfach akzeptieren, was ihm gesagt wurde: er konnte nicht
blindlings dienen, ohne Frage. »Entschuldige, daß ich es
so sage, aber du hörst dich nicht wie Miriam an.«
    »Die Miriam, die du kanntest, war von der Welt. Sie war eine
Söldnerin und Mörderin. Ich bin dein Bibliothekar, dein
Führer. Ich kam hierher, und das veränderte mich. Ich kann
nicht gehen, ehe du nicht die toten Träumer aus ihrem eisigen
Schlaf erweckst.«
    »Entschuldige nochmals. Aber ich bin noch immer nicht
sicher… was wird geschehen, wenn sie erwachen?«
    »Wir wissen es nicht. Aber um damit anzufangen, die Grenzen
werden zerstört werden. Die Grenze, welche den Informationsraum
des Mars von dem der übrigen Menschheit trennt, die Grenze,
welche den Himmel verschließt, und die Grenze, welche die Toten
an die Erde bindet. Wir werden allen helfen, die helfen
wollen.«
    Lee bedachte, daß ihm sein ganzes Leben lang solche Art von
Hilfe zuteil geworden war. Sein ganzes Leben lang war sein Schicksal
von den Handlungen anderer geformt worden.
    »Du bist weit gekommen«, sagte Miriam Makepeace Mbele.
»Der Tigerberg ist durchsiebt von Röhren und Kabelrohren,
Durchgängen, Höhlen und Knotenpunkten, hineingebohrt und
angelegt von Millionen von Von-Neumann-Maschinen und großen,
langsamen Viren. Einige wenige Teile gehören noch immer
denjenigen, welche sie erbauten. Die Vorfahren der Nation der Freien
Yankees suchten sich die Plätze sorgfältig aus, wo sie an
Land gingen, und ihre Nachkommen kehren aus Tradition zurück,
die schließlich einfach unhinterfragte Erinnerung ist. Hier
kann ich mittels Induktion zu dir sprechen, aber selbst hier lenkt
das die Aufmerksamkeit auf mich. Diese Inseln sind sicher, aber ich
kann noch nicht auf ihnen landen. Durch diese Art direkter
Einmischung sind schon zwei Inseln an Gaia verlorengegangen. Der
letzte Weg führt in die wirkliche Welt. Dieser Weg ist der
deine, allein der deine, um ihn nach deinem Willen zu wählen
– obgleich wir ein Bündnis für dich arrangiert haben.
Wenn du die Spitze des Berges erreichst, wirst du es
verstehen.«
    Lee blickte auf die Insel der Seligen hinab. Ihr Name war
Peng-lai. An den Flanken ihrer dreifachen Spitze, die sich nackt vom
Grund aus Datennebel hob, waren Wälder mit Bäumen, deren
Früchte Perlen waren, Datenknoten, die sich beim Nachsinnen
erweiterten. Und auf der Spitze des höchsten Bergs waren drei
ineinander verschlungene Bäume, deren Äste durch den
kreisenden Himmel griffen, sich immer feiner verzweigten, eine
Milliarde Milliarde Verbindungen, deren jede eine Milliarde Milliarde
Kreuzungen trug, unendlich verbindend…
    Lee hatte auf all dies in einem Augenblick Zugriff

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