Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
Vom Netzwerk:
waren wenigstens fünfzig, die uns
gefolgt sind«, erwiderte Redd.
    »Hundert gezählt, dann aufgegeben«, sagte Vette in
ihrer Pidgin-Umgangssprache. Ihr Gesicht war bleich, jedoch
gefaßt; Lee wußte, daß sie sich ebenso
fürchtete wie er, wußte aber auch, daß sie besser
darin war, ihre Furcht zu verbergen. Das und mehr hatte er
während der Tage des Segelns in den Staubmeeren auf der Leeseite
der hohen Flanken des Tigerbergs über sie erfahren.
    Von oben auf der Mauer rief Chen Yao: »Es sind jetzt weitaus
mehr als das dort draußen. Sie umzingeln uns von allen
Seiten.«
    Li Pe sagte: »Die kleine Göttin hat gute Augen, aber ihr
solltet sie darum bitten, herabzukommen. Sie mögen nicht wissen,
wie man Mauern emporklettert, aber sie wissen, wie man Steine
wirft.«
    »Es gefällt ihr, etwas zu tun«, sagte Lee.
»Tut mir leid, daß wir so viele unwillkommene Gäste
an deine Tür gebracht haben.«
    »Es wäre früher oder später sowieso
geschehen«, sagte Li Pe. »Sie laufen in kleinen Banden
herum, aber hier und da vereinigen sich die Banden. Vielleicht, wenn
ich die Light-Show noch mal versuchte…« Dann trat er
elegant zurück. Einen Augenblick später erdröhnte das
Tor von einem schweren Schlag. Rostscherben fielen zitternd zu Boden.
Draußen erfolgte scharfes hohes Geschnatter, und Li Pes
Schwester stieß einen unterdrückten Schrei aus.
    Yang Bo tauchte hinter Lee auf, er schulterte einen Pfahl mit
einem Messer, dessen Klinge bis zum Ende mit Draht umwickelt war. Er
hielt eine Fackel hoch, deren Flamme über seiner polierten
Glatze zitterte. »So schlimm war es letztes Jahr nicht«,
sagte er. »Jetzt kommen sie jede Nacht. Auch am Tag. Davor haben
sie sich meistens ferngehalten. Damals waren wir mehr, obgleich mehr
geschlafen haben als lebendig waren, und sie sind nur des Nachts
gekommen; Li Pe konnte sie abschrecken…«
    »Ich fürchte, sie haben sich an meine Zauberei
gewöhnt«, sagte Li Pe.
    Chen Yao rief herab: »Aber nicht an die Wei Lees. Du wirst
sehen.«
    Yang Bo sagte: »Wenn’s so wäre, kleine Göttin!
Dann habe ich mich geirrt: statt euch hier bei uns zu verstecken,
macht ihr uns einen Anstandsbesuch.«
    »Wir jagen sie«, sagte Vette. Sie wechselte die Harpune
von der rechten Hand in die linke, dann wieder zurück. »Ist
nicht so, als wären sie Tiere. Wir können sie
erschrecken.«
    Redd rieb sich die verbundene Hand und sagte: »Da wäre
ich nicht so sicher.«
    »Sie sind gefährlicher als Tiere«, sagte Li Pe. Er
beugte sich vor und setzte seine Fackel in eine Halterung neben dem
Tor. Einen Augenblick lang wurde sein runzliges Gesicht von unten
beleuchtet; dann trat er zurück und war wieder in der
Dunkelheit.
    Das Tor erdröhnte von neuem; für Lee definierte die
Weise, wie sich die Echos ausbreiteten, das, was draußen war.
Drei, wie Li Pe gesagt hatte, standen in einiger Entfernung. Lee
entsann sich, daß Li Pe gesagt hatte, sie hätten gelernt,
Steine zu werfen – und wie als spöttische Antwort auf seine
Gedanken erfolgte ein jähes Poltern und Klappern auf dem
Schindeldach des Hauses.
    Chen Yao stand plötzlich neben ihm. »Sie sind direkt die
Mauern hochgekommen.«
    Steine bildeten ein unregelmäßiges Schlagzeug auf den
Dachziegeln; einige fielen zu kurz und knallten auf die
Pflastersteine des Innenhofs. Jeder nahm Zuflucht auf der Schwelle
des Hauses. Li Pes Schwester, Li Qing, fragte klagend, was
geschah.
    »Ist schon gut, Großmutter«, sagte Lee. »Es
mögen mehr von ihnen sein, aber sie sind noch immer dieselben.
Sie werden nicht wissen, wie man das Tor erklettert.«
    »Hoffentlich«, sagte Redd.
    Die alte Frau streckte herumfummelnd die Hände aus, und Lee
faßte sie, überrascht von ihrer Wärme. Er ging in die
Hocke, um ihre Finger über sein Gesicht krabbeln zu lassen.
    »Du bist weit gereist«, sagte Li Qing.
    »Und ich muß noch weiter reisen,
Großmutter.« Seinerseits berührte er ihr Gesicht,
küßte sie vorsichtig auf die halbgeschlossenen Lider
über den milchigen Augen. Sofort füllten sich ihre Augen
mit Tränen. Li Pe beugte sich herab, um seine Schwester zu
trösten, obgleich sie ruhig genug wirkte. »Der junge Mann
wird sich um uns kümmern, Bruder. Er ist ein guter Mann. Seine
Freunde sind gute Menschen.«
    Vette sagte zu Lee: »Tu was!«
    »Vielleicht könntest du diesen Mach-Schneller-Stunt
hervorholen«, schlug Redd vor.
    »Es sind zu viele«, sagte Chen Yao. »Am Morgen
werden sie vielleicht weggehen. Wir sind nicht hier, um sie

Weitere Kostenlose Bücher