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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Türen vor
deinem Gesicht schließen. Wenn du westwärts reist, wirst
du eintausend Kilometer reisen müssen, um seinem Einfluß
zu entkommen. Ich sehe ihn als das, was er ist, Wei Lee. Ich
möchte nicht wie er werden. Es ist ein Angelpunkt in meinem
Leben. Ich muß dir dafür danken.«
    Lee sah, daß Guoquiang sehr betrunken war – vielleicht
hatte er den ganzen Tag über getrunken. Er sagte: »Was
willst du in der Hauptstadt tun? Dein Gehirn zum Informationsabgleich
vermieten? Soldat werden? Das sind die beiden populärsten
Optionen für junge Leute, die frisch vom Lande kommen.«
    »Wir werden den Augenblick beim Schopf packen, wenn er
kommt«, versicherte Guoquiang. »Vielleicht wird es
notwendig sein, den Verteidigungskräften beizutreten. Unsere
Pilotin mag die erste einer Invasionsstreitmacht sein.«
    »Wir können uns von der Sprachrohr-des-Volkes-Armee
mitnehmen lassen, wenn sie die Anarchistin wegbringen«, schlug
Xiao Bing vor. »Eine überraschend geringe Bestechungssumme
reicht weit bei den gewöhnlichen Soldaten.«
    Lee fing an, sich seine Stirntolle zu kämmen, wozu er das
schwarze Wasser des Teichs als Spiegel benutzte. Sein Haar verlor
immer wieder seine sorgfältig gestylte Form, weil der Staub
darauf die Haarcreme absorbierte. Er sagte: »Eure Pläne
sind so gut ausgearbeitet, und es schmeichelt mir, daß ihr mich
einzuschließen wünscht. Immerhin war ich ursprünglich
die Quelle eurer Schwierigkeiten.«
    »Ich hoffe, daß wir noch immer Freunde sind«,
sagte Guoquiang. »Freunde helfen doch einander, oder? Denk
drüber nach, was ich gesagt habe, Wei Lee. Ich bin sicher, du
wirst einen Sinn darin erkennen. Nimm noch was Brandy. Trink! Trink
auf unsere Zukunft!«

 
     

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7
     

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    In jener Nacht lag Lee bis lange nach Mitternacht wach, benommen
von Brandyschwaden, und die Gedanken wirbelten ziellos umher. Er war
außerstande, einen Weg aus der Falle des möglichen
Gesichtsverlusts zu finden, die Guoquiang so geschickt gelegt hatte.
Eine Weile lauschte er noch der Sendung des Kings, hörte jedoch
nur ein Wort von zehn, dann rief er einen der Filme des Kings auf
seinem tragbaren Abspielgerät auf, saß da und sah bei
abgedrehtem Ton zu (er kannte alle Dialoge und alle Songs) und hatte
dabei seine selbstgefertigte elektrische Gitarre mit dem festen
Korpus im Schoß. Der Strom war abgeschaltet, doch Lee klimperte
trotzdem zu jedem der Songs darauf herum, wobei er sich tief
hinabbeugte, um die Akkorde in den Stahlsaiten singen zu
hören.
    Der Film war Fun in Acapulco. Das miteinander verkettete
Heben und Senken der See faszinierte Lee ebenso wie der King, und es
gefiel ihm stets, wie offensichtlich es war, daß der King
niemals in irgendwelchen Außenaufnahmen auftauchte. Ein Double
schlenderte an seiner Stelle eine Straße hinab, nur von hinten
zu sehen, aber dennoch nicht überzeugend, oder er war in einer
Totale zu sehen, wie er sich am Strand mit Ursula Andress
lümmelte, während der King unter Studiobeleuchtung mit ihr
in Nahaufnahmen erschien. Der King war damals so berühmt,
daß die Frauen ihn in Stücke gerissen hätten, wenn er
jemals in der Öffentlichkeit aufgetaucht wäre, wie sie
seinen Leichnam nach seiner Hinrichtung in Stücke gerissen
hatten, während sie seine Songs sangen, als sie seinen Kopf
davontrugen (und in der Legende hatte sein Kopf ebenfalls gesungen,
aber das war Legende – in Wirklichkeit war sein Kopf im Schrein
des Landes der Anmut aufbewahrt und dann verlorengegangen oder
gestohlen worden).
    Die Filme des ›King of the Cats‹ waren für Lee mehr
als einfache Unterhaltung. Sie waren subtile Visionen der Art und
Weise, wie sich ein Held durch die Welt bewegte. Der King war das
Zentrum eines Sturms von Wundern und Zeichen, und dennoch:
während die Dinge um ihn herum an ihren Platz fielen,
mußte er in sich selbst den Weg finden, wie er seine geheime
Wunde heilen konnte – hier seine Höhenangst, die
gleichfalls seine Angst vor dem Tod war, denn sie entsprang seiner
Verwicklung in den Unfall, der seinen Freund verkrüppelt hatte.
Sobald er seinen Mut durch Liebe zurückgefunden hätte,
könnte er sich dadurch heilen, daß er von hoch oben in das
Meer sprang und für immer lebte. Beim Anschauen des Films konnte
Lee zu glauben beginnen, daß die Welt einfacher war, als sie
wirkte. Vielleicht konnte er lernen, wie man der Welt das Geheimnis
des Verschwindens seiner Eltern entreißen konnte, das Geheimnis
seiner Vergangenheit aufschließen und seine

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