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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Gangs
erkennbar. Es verlieh Wei Lee ein merkwürdig losgelöstes
Gefühl, sicher innerhalb einer Hülse warmer, schaler Luft
zu sein, während die Wut des Sturms von zentimeterbreitem
Kunststoff in Schach gehalten wurde.
    Die Veränderung kommt mit fünfundvierzig Revolutionen
pro Minute, sagte der King in Lees Ohr. Oder vielleicht hieß es
auch Evolutionen; Statik rasselte über die Worte des Kings, und
im selben Moment sagte Xiao Bing, daß jetzt alles
verändert sei, daß Guoquiang sich zur Veränderung
bereitgemacht hatte.
    »Er muß überhaupt nichts verändern«,
sagte Lee. »In einem Jahr wird dies einfach eine weitere
Geschichte in der Geschichte des Danwei sein.« Ebenso wie
er: er war bereits entlassen worden, weil er Schande über das Danwei gebracht hatte. Guoquiangs Vater, ein
größerer Anteilseigner, war Vorsitzender der Sondersitzung
des Rats gewesen. In fünf Minuten war alles vorübergewesen.
Lees Demütigung würde so lange wie der Sturm verbleiben,
und dann wäre er verschwunden, genauso, wie er es sich vor zwei
Tagen oben auf der Feldkuppel Nummer Acht erträumt hatte.
Hüte dich vor Wünschen, dachte er, du kannst bekommen, was
du haben möchtest.
    »Du bist verbittert, aber dazu hast du jedes Recht, nachdem
dich Li Mei in der Öffentlichkeit angeprangert hat.«
    »Ihre Eltern haben sie dazu gebracht. Ich gebe nicht wirklich
ihr die Schuld.« Lee konnte Xiao Bing gegenüber nicht
zugeben, wie sehr ihn Li Weis Verhalten verletzt hatte. Er sagte:
»Der Skandal wird abflauen, und alles wird so sein, wie es
gewesen war. Du wirst sehen.«
    »Aber alles ist verändert«, sagte Xiao Bing.
Die Kappen über seinen Pupillen waren wie Zinn in dem
dämmrigen Licht, das weiße Haar und die bleiche Haut
gefärbt wie bei einer Quetschung.
    »Du machst das zu einem Rätsel.«
    »Guoquiang möchte mit dir darüber reden. Ich
würd’s ihn tun lassen.«
    »Du bist ein treuer Freund, Xiao Bing. Keiner von uns
verdient deine Treue.«
    »Ich habe Guoquiang mein ganzes Leben lang gekannt. Er hat
dafür gesorgt, daß mich andere Kinder nicht mehr
verdroschen haben. Er mochte mich, weil ich cleverer war als er, eine
Selbstlosigkeit, die ich um so mehr zu würdigen wußte, je
älter ich wurde. Er ist ein Anführer, ist stets einer
gewesen. Er hat es nicht auf sich nehmen müssen, sich um einen
Auserwählten zu kümmern, und er hat sich stets um mich
kümmern müssen, weil die anderen Kinder versucht haben, auf
ihn loszugehen, indem sie auf mich losgegangen sind. Ein kleiner Ort
wie dieser… Ich habe gehört, daß in der Hauptstadt
niemand irgendwelche Notiz von einem Auserwählten
nimmt.«
    Lee dachte an die Bettelkinder im Yankee-Viertel; nicht alle
Deformationen waren freiwillig von ihren Eltern herbeigeführt
worden. Er sagte: »In der Hauptstadt würdest du nicht ein
Auserwählter genannt werden, das stimmt. Aber sicherlich dein
Vertrag… Das Danwei hat Geld für deinen…«
– er konnte nicht ›Tod‹ sagen – »Schlaf
genommen.«
    »Oh, sobald ich damit fertig bin, mein kleines Stück vom
Himmel zu entwerfen, sobald ich mich an genügend erinnert habe,
um es wirklich zu machen, kann ich jederzeit aus dieser Welt
hinaussterben. Hier, oder in der Hauptstadt, es macht keinen
Unterschied. Aber gerade jetzt braucht mich Guoquiang.«
    »Vielleicht ist es ebensogut, da ich jetzt weiß, wie
Bitterwasser seine Halblebenden behandelt.«
    »Wenn du deinen Übertritt in den Himmel beginnst«,
sagte Xiao Bing heiter, »zählt lediglich, daß dein
Körper so lange am Leben gehalten wird, wie der Übertritt
dauert. Wie er am Leben gehalten wird, zählt nicht. Es ist
einfach so, wie ein Gefäß zu leeren. Die Conchies
möchten uns alle tot haben, Wei Lee, auf die eine oder andere
Art. Sie werden auf mich warten.«
    Lee sagte, als sie sich durch die schweren Streifen am Ende des
Tunnels schoben: »Ich habe nicht an die Conchies gedacht. Ich
habe an das Danwei gedacht, das wird seine Prämie
für deinen…«
    »Meinen Tod? Genau das ist es. Es macht mir nichts
aus.«
    Die Streifen fielen zur Seite. Wanne feuchte Luft legte sich rund
um Lee und Xiao Bing, wie ein schwerer Mantel. Helles Licht fiel
durch das Grünzeug, brannte in Wasser, das in Azolle-Kaskaden
von Muschel zu Muschel fiel, die zickzackförmig um Teiche
herumführten, in denen Wasserhyazinthen dicht an dicht standen.
Das Geräusch des Sturms und der Stimme des Kings verstummten im
selben Augenblick.
    Der reiche Duft nach wachsenden Dingen und das

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