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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Seite stehen. Es ist nicht deine Schande. Es ist
unsere.«
    Guoquiang sah so bescheiden aus, daß Lee auflachte.
»Oh, ich werde einen anderen Job finden, irgendwo. Und was die
Schande betrifft, so geht sie rascher vorüber, als ihr euch
vorstellen würdet. Ich werde weiterziehen und alles vergessen.
Tatsache ist, es ist nicht meine erste Streitsitzung.«
    »Du kennst die Welt«, sagte Guoquiang.
    »Einiges davon.«
    »Lehre mich«, sagte Guoquiang mit einer Festigkeit, die
Lee überraschte. Seine großen Hände zerdrückten
den Korb vor der Brust. »Lehre mich. Ich muß lernen. Ich
möchte einen Unterschied bedeuten.«
    »Ich weiß sehr wenig.«
    »Du hast die Welt bereist. Ich wäre geehrt«, sagte
Guoquiang formell, »wenn du teilen wolltest, was du gelernt
hast.«
    Auf diese Weise heilte ihr Streit allmählich. Sie saßen
zusammen am Kiesufer eines Hyazinthenteichs, in dem Murmeln und
Dröhnen von Pumpen und Belüftungskaskaden. Die
unbarmherzige Helligkeit der Wachstumslampen, getöntes Purpur
mit nahem UV, verlieh ihrer Haut einen leichenähnlichen
Schimmer. Guoquiang setzte dunkle Gläser auf, ovale Linsen,
nicht viel größer als seine Augen. Xiao Bing holte eine
Steinflasche und drei durchsichtige Fingerhüte aus Porzellan,
die er bis zum Rand füllte.
    Lee nahm einen. Der klare, nach außen gewölbte Brandy
reflektierte ein umgekehrtes Abbild der Gitter des elektrischen
Lichts, als er ihn an die Lippen hob. Es dauerte einen Augenblick,
bis sich der Alkohol durch die Süße hindurchbrannte; dann
husteten und spuckten er, Guoquiang und Xiao Bing und schlugen
einander auf den Rücken.
    Nach der zweiten Runde Brandy war Guoquiang entspannt genug, um
nach der Geschichte hinter Lees erster Streitsitzung zu fragen. Lee
erzählte ihm das und mehr, und als seine Geschichte fertig war,
war die Flasche mehr als halb geleert, und alle drei verspürten
einen warmen Glanz wieder entfachter Kameradschaft.
    »Ich möchte die Welt sehen«, sagte Guoquiang
großartig und beschwipst. »Ich möchte dort
draußen in ihr sein, ich möchte dorthin gehen, wo es mehr
Lebendige als Halblebende gibt. Wißt ihr, daß es hier
mehr als doppelt so viele Halblebende als Lebende gibt?«
    »Er versorgt sie«, sagte Xiao Bing.
    »Natürlich. Entschuldigt mich. Mein Vater gibt mir die
Hunde zum Versorgen, und dir die Toten.«
    »Und ich stehe tief unter jeder Beachtung«, sagte Xiao
Bing, »weil ich bereits zu den Halblebenden zähle.
Schließlich hat eine niedrige Position einen gewissen Vorteil.
Du kannst nicht weiter hinunterfallen. Nehmt noch was
Brandy!«
    Sie prosteten einander zu und tranken.
    »Überlegt es euch sorgfältig, meine Freunde, ehe
ihr den Komfort eures Danwei verlaßt«, sagte Lee.
»Die Hauptstadt füllt sich mit Flüchtlingen, und es
ist sehr schwer für Fremde, dort einen Lebensunterhalt zu
finden. Kommunaler Kapitalismus hat mehr Vorzüge, als ihr
glaubt.«
    »Ich kann nicht hier bleiben«, sagte Guoquiang.
»Mein Vater hat meine Stellung zerstört. Ich werde keine
Autorität haben, außer der, die er großzügig
verteilt. Und wenn er in den Himmel übergeht, werde ich nicht
einmal das haben. Nicht einmal seine Anteile – er hat seinen
letzten Willen geändert.« Er lachte, ein nervöses
Bellen. Er schämte sich, wie Lee sah, er schämte sich und
hatte Angst. »Dies ist ein Ort der Toten. Die Lebenden
existieren nur, um jenen zu dienen, die den Tod gewählt
haben.«
    »Die ganze Welt stirbt«, sagte Xiao Bing.
    »Um so mehr Grund, sie zu sehen«, meinte Guoquiang.
»Sie zu sehen, ehe alles stirbt.«
    »Jede Menge Gelegenheiten in der Hauptstadt«,
versicherte Xiao Bing.
    Lee sagte scharf: »Wer hat dir das denn gesagt? Die Soldaten?
Ich werde in die andere Richtung gehen.« Von seinem
Urgroßvater weggehen, obgleich er wußte, daß er der
Bürde seiner Verpflichtungen niemals entkommen könnte.
Reise weit genug um die Welt herum, und du wirst dorthin
zurückkehren, wo du angefangen hast.
    »Vielleicht können wir dich zu einer anderen
Entscheidung bewegen«, sagte Guoquiang. »Ich habe Geld. Wir
sollten es teilen.«
    »Du bist ein guter Freund, Guoquiang. Ich verdiene dich
nicht.«
    »Ich bin ein besserer Freund, als du glaubst. Mein Vater ist
ein einflußreicher Mann in der ganzen Provinz, nicht bloß
in Bitterwasser. Du wirst sehr weit reisen müssen, um ein Danwei zu finden, das dich beschäftigen wird. Er war
äußerst erheitert von der Vorstellung, wie du mit leeren
Händen durch die Provinz reist und sich die

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