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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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Geräusch
fallenden Wassers schlugen eine Saite des Unbehagens tief in Lee an.
Vor langer Zeit hatte es eine schlimme Zeit in einem Garten gegeben.
Er war nicht älter als eins oder zwei gewesen. Er war sich
gewiß, daß es etwas mit dem Verschwinden seiner Eltern zu
tun gehabt hatte, konnte sich jedoch lediglich an sein Entsetzen und
den Duft frisch geschnittenen Grases erinnern.
    »Dort drüben«, sagte Xiao Bing. »Komm schon,
Wei Lee, du träumst wieder!«
    Guoquiang warf Kuchen aus gekochtem Laub in die Tier-Pferche. Das
war seine Strafe: Arbeit beim Fäkalien-Recyclen, bis die
Sprachrohr-des-Volkes-Armee das Danwei verließ. Es
machte ihm anscheinend nichts aus. Er pfiff den Hunden zu, schimpfte
sie aus, weil sie nicht fraßen. Die fetten weißen
haarlosen Hunde trabten nervös auf und ab, erschreckt vom
Sturm.
    Guoquiang leerte den gewebten Korb mit einer schwungvollen
Bewegung, schnüffelte in der Luft und sagte: »Hat eine
Abwasserröhre ein Leck?«
    Lee nahm das Radio aus dem Ohr. Er sagte: »Die häusliche
Elektrizitätsversorgung wird vor dem Ende meiner Schicht
abgeschaltet. Es gibt kein Wasser zum Waschen. Die anderen stehlen
Wasser von den Halblebenden; dazu kann ich mich nicht
überwinden. Wenigstens habe ich meine Kleidung gewechselt, aber
Xiao Bing hat auf mich gewartet.«
    Guoquiang war, was für ihn sprach, auf der Stelle
zerknirscht. »Tut mir leid, Wei Lee.«
    »Schon gut. Ich bin so lange unterwegs gewesen, daß ich
es nicht riechen kann.«
    »Ich meine, daß mein Vater ein stolzer Mann ist. Er
sieht den Verlust des Gesichts vor dem Kollektiv als einen
großen Schlag für sich selbst. Also werden wir alle
bestraft. Tut mir leid, daß es dich am schlimmsten getroffen
hat.«
    »Was macht dein Auge?« fragte Lee.
    »Tut weh«, gab Guoquiang zu. Es war das Unke Auge, bei
dem es Lee gelungen war, es mit seinem Ellbogen zu treffen; die
Schwellung darum herum verblaßte allmählich von dunklem
Purpur zu Grün und Gelb. Guoquiang fügte hinzu: »Was
machen deine Rippen?«
    »Tun auch weh.«
    Guoquiang lachte. »Wir sind beide ziemlich dämlich
gewesen.«
    Lee hatte nicht den Mumm darauf hinzuweisen, daß, wenn
Guoquiang nicht so stur gewesen wäre, sie jetzt alle Helden
wären, anstatt in Ungnade gefallen zu sein, weil sie von den Danwei-Idealen der demokratischen Kollektivierung abgewichen
waren, weil sie die Todsünde der Selbsterhöhung begangen
hatten. Weil sie das Gesicht vor den Soldaten der
Sprachrohr-des-Volkes-Armee verloren hatten.
    Er sagte: »Ich schätze, wir beide haben einen Fehler
begangen.«
    Sein eigener hatte in dem Versuch bestanden, die verletzte
Anarchisten-Pilotin vor Guoquiangs impulsivem Pflichtgefühl zu
bewahren, das fehl am Platz gewesen war. Zwei Tage später konnte
Lee nicht verstehen, warum sie ihm soviel bedeutet hatte. Warum sie
ihm noch immer soviel bedeutete. Selbst der Gedanke an sie
verschaffte ihm ein unangenehmes Gefühl der Klaustrophobie, als
wäre er mit ihr in der Isolationskammer, mit Maske, Katheter und
intravenösen Infusionen, umgeben von feindlichen Aliens auf
einer Alien-Welt, treibend in einer Blase von
Fluorkohlenstoffen…
    Das Danwei hatte bei der Sprachrohr-des-Volkes-Armee
herumgeschnüffelt, und eine Endlosschleife der
Anarchisten-Pilotin (eine Totale, wie sie von zwei Soldaten einen
schmalen, hellerleuchteten Korridor entlanggetrieben wurde;
Mittelaufnahmen, wie sie an einer gekachelten Wand stand, von
denselben beiden nervösen Männern gestützt; eine
Ringsum-Nahaufnahme von ihr innerhalb der Isolationskammer, auf dem
Gesicht eine Maske, die Nacktheit in dem Glanz, der von der
Kunststoffhülle der Kammer reflektiert wurde, wie weggewaschen)
lief kontinuierlich auf einem der öffentlichen Kanäle. Das Danwei hatte sie ebenfalls den Mediennetzen der Hauptstadt
verkauft, und sie tauchte auf jedem Nachrichtenkanal zur vollen
Stunde auf.
    Lee hatte sie sich immer und immer wieder angesehen, jedesmal mit
demselben frischen Gefühl faszinierten Entsetzens. Es war, wie
einer Vergewaltigung zuzusehen.
    Guoquiang sagte: »Mein Vater besteht darauf, daß du
deinen Übergang formell zurücknimmst, ehe dein Vertrag
beendet ist. Ich habe gesagt, wenn das der Fall wäre, würde
ich’s tun.«
    »Er hat mich ebenfalls als Freiwilligen benannt«, sagte
Xiao Bing. Seine Augen warfen schwarze, blitzende Reflexe, wenn er
lächelte.
    »Mein Vater hat unglücklicherweise nichts von der Idee
gehalten. Aber wie dem auch sei, wir werden bei der Streitsitzung an
deiner

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