Roter Staub
Mauern des Ersten Hauses des Kaisers zu.
Sie drängten sich dicht um das Fronttor, das zu normalen Zeiten
offengestanden hätte, um Bittstellern den Eintritt zu den Hallen
der Belohnenden Schnittstelle zu gewähren. Aber das Tor war
verschlossen; es war verschlossen, seit der Kaiser schwieg, und jetzt
waren sein schwarz-weißes Mandala und der zwanzig Meter hohe
Bogen mit roter Farbe bespritzt. Leute strömten zu beiden Seiten
daran vorbei, unter der überhängenden Mauer. Sie
krümmte sich über ihnen wie eine Welle, die im Augenblick
des Brechens erstarrt war. Poster und aufgemalte Slogans bedeckten
das untere Drittel der Mauer. Holographen projizierten leuchtende
Leitern von Buchstaben über den Köpfen der Menge,
einhundert verschiedene Variationen über den Ruf nach Wahrheit.
Straßenverkäufer waren dort, die schreiend ihre Waren
anpriesen, und eine Ansammlung improvisierter Zelte war an einer Ecke
des Rechtecks aufgestellt worden.
Lee erwischte einen Mann am Arm, entschuldigte sich, fragte, was
geschehen sei. Der Mann lächelte verwirrt, deutete zum Himmel
und eilte davon. Eine alte Frau rief Lee zu: »Der Kaiser, junger
Mann! Der Himmelssender sagt, daß der Kaiser tot ist!«
Lee erinnerte sich daran, das Radio anzuschalten, welches ihm die
Viren in den Kopf gebaut hatten, aber es ertönte lediglich ein
wirres statisches Rauschen. Im gleichen Augenblick hörte Lee
jemanden seinen Namen rufen.
»Wei Lee! Wei Lee!«
Xiao Bing lief auf ihn zu, silbrige Augen blitzten in seinem
weißen Gesicht. Überall sonst stiegen abgerissene Rufe von
den Menschen auf, die sich noch immer auf den Platz
drängten.
»Die Soldaten! Die Soldaten kommen! Die Soldaten!«
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Reihe um Reihe von Soldaten marschierte auf den Platz des
Himmlischen Friedens. Sie schwärmten zu beiden Seiten der Avenue
aus, um eine Pfeilspitze zu bilden, die über den
bevölkerten Platz hinweg zum Fronttor wies. Ein Offizier in
einem schwarzen einteiligen Anzug mit Silbergürtel stieg in die
Luft, die Füße wie ein Engel auf jenen frühen
Yankee-Gemälden ausgerichtet, ehe die Regeln der Perspektive
formuliert wurden. Sein schwarzer Kugelhelm blitzte in dem
Morgenlicht, das über die Köpfe der Menge flutete und
salzweiß auf den glatten Mauern der Regierungsgebäude
hinter der Formation der Soldaten brannte.
Lee keuchte angesichts dieses Wunders. Xiao Bing hob die Schultern
und sagte: »In seinem Anzug sind supraleitende Spulen verwoben.
Er wird über einer Wabenspule schweben – so was wie ein
umgekehrter fliegender Teppich, der Teppich bleibt auf dem Boden, du
fliegst. Wenn wir einen Stromfluß in diesen Burschen induzieren
könnten, würden wir seine Spulen entmagnetisieren und
sehen, wie er ohne sie fliegt.«
»Du hast dich nicht verändert«, sagte Lee.
»Stets eine pragmatische Erklärung für etwas, das
niemand sonst versteht.«
Xiao Bing sagte: »Es ist erst drei Wochen her, Lee.«
»Wirklich? Das ist erstaunlich.«
Die verstärkte Stimme des Offiziers prasselte über den
Platz des Himmlischen Friedens, wurde von den Gebäuden auf drei
seiner Seiten zurückgeworfen, von der nach oben gekrümmten
Mauer auf der vierten.
»Es ist an der Zeit, den Platz zu verlassen«, sagte der
Offizier. »Alle Bürger sollten den Platz verlassen, so
daß die Sprachrohr-des-Volkes-Armee ihre Aufgaben erfüllen
kann.«
Eine Art gestaltloses Gemurmel stieg von der Menge auf, als die
letzten Echos der Stimme des Offiziers verhallt waren. »Jetzt
werden wir sehen«, sagte Xiao Bing mit grimmiger Zufriedenheit.
Er nahm Lee beim Arm und steuerte ihn durch das Gewühl.
»Ich bin froh, dich zu sehen«, sagte Lee. Er entsann
sich lebhaft des Bombardements der Ackerbaukuppel, der Explosionen
und des jähen brausenden Sturms. Er hatte seine beiden Freunde
für tot gehalten. »Es freut mich zu sehen, daß du den
Soldaten entkommen bist. Und Guoquiang? Er ist hier?«
»Soweit ich weiß könnte er bei den Truppen sein,
die uns umzingeln. Er ist zur Armee gegangen, Wei Lee!«
»All das Gerede vom Ruhm, dem Kaiser im
Orbital-Verteidigungs-Corps zu dienen… also war Guoquiang ein
wahrer Idealist.«
»Was das Entkommen von den Soldaten betrifft, so sind wir
zwischen die Reishalme gesprungen und dort geblieben, als die
Schießerei aufhörte. Wegen des Staubsturms trugen wir
unsere Masken, und daher konnten wir uns völlig unter Wasser
legen und unsere Infrarot-Abdrücke auslöschen. Abgesehen
davon haben die Soldaten nicht uns
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