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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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hier
bald fertig sein; es besteht eine siebzigprozentige
Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Soldaten in der
nächsten Stunde den Platz räumen werden. Bis dahin sind wir
weg.«
    »Ihr unterstützt die Leute nicht?«
    »Lao San sagt, es gibt so was wie Leute nicht. Nur eine
stochastische Masse von Individuen.«
    Lee lächelte. »Vielleicht. Aber im Augenblick sieht es
so aus, als wollten sie alle dasselbe.«
    Lao San wandte sich von der kleinen Maschine ab, mit der er
herumgefummelt hatte, und stieß Lee einen Finger in die Brust.
»Hör zu! Der Kaiser ist nichts weiter als ein veralteter
Versuch, die Kontrolle zu zentralisieren. Natürlich wird eine
solche Kontrolle nicht benötigt, aber sie kann nicht dadurch
abgeschafft werden, indem man an ihre Tore pocht. Du möchtest
wissen, warum wir hier sind? Es sollte offensichtlich sein, daß
dies eine wunderbare Propaganda-Übung ist. Sieh dir unsere
Slogans an, unsere Großbuchstaben-Poster!«
    Es stimmte, da trieben ein Dutzend oder mehr Säulen von
Ideogrammen in der Morgenluft. Aber die meisten Menschen in der Menge
sahen zu den Soldaten hin, nicht in die Luft.
    Lee sagte: »Oh, das verstehe ich. Ich möchte das gleiche
wie ihr. Ich möchte, daß der Mars wieder lebt!« Und
er wollte es, so stark, daß er zu weinen anfing, denn er sah
deutlich die hohen kalten Wüsten, wie sie sich ausbreiteten, die
Wälder, wie sie verdorrten, den See, wie er in seinem Salzbecken
zusammenschrumpfte.
    »Sicherlich willst du das«, sagte Lao San.
    Lee, verlegen, fing an, sich zu entschuldigen. Lao San sagte:
»Es ist schwer, die Evolution deines Bewußtseins zu
erzwingen. Aber es ist nötig. Du hilfst Xiao Bing beim Versuch,
einen Projektor auf diesen Offizier zu richten. Machen wir ihn doch
interessant!«
    Xiao Bing befestigte eine kleine Maschine mit einem Dutzend
glasberingter Rüssel an eine Art Harnisch. Lee schniefte und
sagte: »Du wirst den Offizier entmagnetisieren?«
    »O nein. Lediglich ihm ein Bild überstülpen. Ein
kleines animiertes Programm, das aus ihm einen Dämon macht. Ich
habe es selbst geschrieben.« Xiao Bing klemmte den Harnisch der
kleinen Maschine an einem schlaffen Kunststoffballon fest.
»Reich mir diesen Gaszylinder rüber.«
    Als Xiao Bing den Ballon mit Helium aufpumpte, dröhnte die
Stimme des Offiziers erneut, und Lao San rief, daß sie sich
beeilen müßten. Von der erhöhten Position der Treppe
aus konnte Lee über die Köpfe der Menge hinweg die Phalanx
der Truppe auf der anderen Seite des Platzes sehen. Die Soldaten
schlugen in einem drohenden Rhythmus mit ihren Schockstöcken
gegen ihre durchsichtigen Schilde. Langsam rückte ihre Linie
gegen den Rand der Menge vor, wie der sich aufplusternde Rand einer
Amöbe. Lee sah, wie kleine Handgemenge ausbrachen, als
Greifkommandos von Soldaten vorstürmten und unselige Individuen
packten und sie wegschleiften. Die Menge, die wie ein von einem
kollektiven Willen vereinter Superorganismus erschienen war,
löste sich auf. Liedfetzen verloren sich in Gekreisch, als die
ersten Gasbomben explodierten. Blüten orangefarbenen Rauchs
breiteten sich allmählich an der Grenze zwischen den Truppen und
der Menge aus. Soldaten zielten mit großkalibrigen Gewehren,
und Menschen am Rand der Menge wurden von Glyzerinsalven
niedergeworfen. Stolperdraht entfaltete sich jäh zu einem
wahnsinnigen Tanz, fing Dutzende entlang seines furchtbaren Rands
ein. Von irgendwoher ertönte das flatternde Hämmern
schwebender Friedenstauben.
    Dann war Lee eifrig damit beschäftigt, den durchsichtigen
Ballon unten zu halten, der jetzt so groß wie eine Armesspanne
war, während Xiao Bing den Projektor überprüfte, der
darunter hing. »Laß ihn los!« rief Bing, und Lee trat
zurück, als der Ballon frei schwebte. Gasstrahlen von den
kleinen Röhren in dem Harnisch steuerten den komischen Apparat
hinaus in das morgendliche Sonnenlicht, während sich sein
Navigationsschaltkreis auf die ferne Gestalt des Offiziers fixierte,
der hoch über den sich ausbreitenden Gaswolken und der laufenden
Schlacht schwebte, die sich unerbittlich dem Fronttor
näherte.
    Xiao beobachtete den Abflug des Ballons mit einem seligen
Lächeln. »Du siehst die Macht der Technik, Wei
Lee.«
    »Ich wünschte, sie könnte dazu benutzt werden, den
Menschen beim Verstehen zu helfen.«
    Xiao Bing lächelte. »Ideen, Wei Lee. Das ist die
Hauptsache. Wir erklären der Bevölkerung, was sie brauchen,
bis sie die Ideen als ihre eigenen umarmen.«
    »Mir scheint, daß jeder den

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