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Roter Staub

Roter Staub

Titel: Roter Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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– und mehr), oder
vielleicht, als er in den See gestürzt war.
    Aber an der Wasserkante war fehlendes Geld wenigstens kein
Problem. Chen Yao ging einfach zu einem Straßenhändler,
und der Mann lächelte und reichte ihnen frittierte
Bananenscheiben in papierdünnen Teighüllen.
    Während er sein Frühstück kaute, erlaubte Lee Chen
Yao, ihn am Dock entlangzuführen. Die Dinge geschahen, eines
nach dem anderen, ob er es wollte oder nicht. Also laß sie
geschehen, an diesem strahlenden Frühlingsmorgen!
    Körnige weiße Salzflächen neigten sich hin zu
Dunstschleiern, die tief auf dem schwarzen Wasser des Sees lagen.
Unten, an den Enden der kilometerlangen Molen, bereiteten Fischer
ihre Boote für das Tageswerk vor. Ihre Lieder trieben dünn
und klar in der bitterkalten Morgenluft. Austernfarmen und
Kelpgestänge bildeten rechteckige Muster jenseits der Molen. Die
Sonne lag noch immer hinter den zerklüfteten Bergwänden,
doch ihr Licht ließ den Himmel glühen und schminkte den
Dunst rot. Furcht stand über ihnen, ein winziger verschmierter
Halbmond, der rasch dahineilte, um die aufgehende Sonne zu
begrüßen.
    Lee blieb stehen, als er hinter der längsten Mole etwas aus
dem Wasser brechen sah. Seine Aufmerksamkeit schaltete etwas in
seinen neugebauten Augen ein, und alles andere floß von dem
jäh vergrößerten Flecken Wasser davon.
    Lee schlug sich die Hände vors Gesicht und fiel auf die Knie.
Nach einigen Augenblicken öffnete er vorsichtig die Finger. Chen
Yao sah ihn an. Ihr Gesicht war genau auf gleicher Höhe mit dem
seinen. »Was hast du gesehen?« fragte sie.
    »Ich dachte, ich hätte etwas im Auge. Es ist jetzt
weg.«
    Er gestattete seinen Augen, ihr Zoom-Kunststückchen erneut
durchzuführen, und sah die aufgeblähten Köpfe von
Flosslern, die weit draußen auf dem schwarzen See die
Oberfläche durchbrachen: zwei, vier, sechs von ihnen. Einer hob
sich brusttief aus dem Wasser, wobei der schnabelartige Kopf auf- und
niederging. Vielleicht war es derjenige, welcher ihm das Leben
gerettet hatte. Lee stand auf und hob die Hand zum Gruß.
    »Der See schrumpft Jahr um Jahr«, sagte Chen Yao.
Frittierte Bananen waren um ihren Mund verschmiert. »Einstmals
war er doppelt so groß, und wo wir jetzt gehen, lag alles unter
Wasser. Dies sind die neuen Docks.«
    »Ich weiß«, sagte Lee, aber Chen Yao schenkte ihm
keinerlei Beachtung. Sie beobachtete das Schwappen des Wassers
jenseits der trockenen Salzflächen und der Molenenden.
    Sie sagte: »Die Flossler werden immer weniger, denn es gibt
immer weniger Fische für sie zum Fressen. Bald wird es nicht
genügend für die Fischer und die Flossler geben, und dann
wird es Krieg geben. Die Flossler wissen das, und deswegen haben sie
dir das Leben gerettet und zugelassen, daß der andere ertrunken
ist.«
    Lee entdeckte, daß sein Sichtfeld immer kleiner wurde, je
näher er sich etwas ansah. Er sah direkt in das Gewebe des
Netzes, das ein Fischer am Ende der langen Mole zusammenlegte, auf
die Narben an den gebogenen Knöcheln des Mannes. Nur eine
zusätzliche Stufe, das war alles. Er hatte es jetzt unter
Kontrolle.
    Er fragte: »Diese Flossler, sie haben den Burschen
ertränkt, der mir gefolgt war?«
    »Sie haben ihn nicht gerettet. Es war Handeln durch
Nicht-Handeln, zum größeren Guten. Ihre Viren verhindern,
daß sie Menschen töten, weswegen sie Krieg so sehr
fürchten. Aber durch Nicht-Handeln können sie Tod zulassen,
falls er für das größere Gute ist.«
    »Weißt du, wer er war? Der Mann, der versuchte, mich
zu… töten?«
    Chen Yao sagte ernsthaft: »Wir glauben, er war ein
Dämon. Die Zehntausend Jahre ziehen sie auf. Viele sind in der
Sprachrohr-des-Volkes-Armee. Sie sind eine Armee innerhalb der Armee.
Sie töten auf Befehl. Er wollte die Viren haben, welche die
Gottheit in dir errichtet hat.«
    »Woher hast du gewußt, daß ich hierher
komme?« fragte Lee. »Ich meine, du hast mich
erwartet.«
    »Die Götter haben dich hergezogen. Die Weg spielt keine
Rolle, so lange es der richtige Weg ist.« Wie ernsthaft sie war,
für jemanden so jungen… doch natürlich war sie mehr
als ein kleines Mädchen. Wie alle Fischer trug sie Viren, die
partiellen Persönlichkeiten erlaubten, sich in ihr
auszudrücken, ebenso wie Lee Fragmente von Miriam trug. Lee
entsann sich, was Miriam ihm von ihrer Genlinie erzählt hatte,
Söldner mit einer Lizenz, für Anarchisten-Familien zu
töten, deren Mitglieder es nicht ertragen konnten, die bindende
Abgeschlossenheit ihrer

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