Roter Zar
Bild.« Sie ließ den Korb sinken. »Ich erinnere mich. Er hat gesagt, er wäre mit dem Foto nicht zufrieden.«
»Wie gut haben Sie Katamidse gekannt?«
»Wir waren miteinander bekannt«, erwiderte sie, »aber nicht so, wie die Leute meinen. Er ist nicht mehr hier, wissen Sie. Er wohnt hier nicht mehr. Er ist verrückt geworden. In der Nacht, in der er den Zaren fotografiert hat. Er sagt, er hat gesehen, wie sie alle vor seinen Augen ermordet wurden. Ich habe ihn auf seinem Dachboden gefunden, er hat nur Unsinn gebrabbelt, er meint, er ist dem Teufel begegnet.«
»Haben Sie anderen davon erzählt?«, fragte Pekkala.
»Die Weißen sind auch zu mir gekommen, als sie hier waren. Aber da hat Majakowski ihnen schon ein paar Bilder verkauft. Ich habe ihnen nicht erzählt, dass ich in der Nacht Katamidse gesehen habe, sie haben mich auch nicht gefragt. Sie wollten bloß wissen, wo sie noch mehr von diesen Fotos bekommen können.«
»Was ist mit Katamidse geschehen, nachdem Sie ihn auf dem Dachboden gefunden haben?«
»Er war so durcheinander, dass ich einen Arzt holen wollte. Aber bevor ich irgendwas tun konnte, ist er aus dem Haus gerannt und nie mehr zurückgekommen. Zwei Jahre später habe ich gehört, dass man ihn in Wodowenko eingeliefert hat.«
»Er sagt, er sei dem Teufel begegnet?«
»Ein Ungeheuer auf zwei Beinen, so hat er ihn genannt.«
»Einen Namen? Hat Katamidse zufällig einen Namen genannt?«
»Als der Zar diesen Mann gesehen hat, soll er etwas gesagt haben. Aber dann haben sie sich gestritten, und Katamidse hat nicht gewusst, worum es ging.«
»Was hat der Zar gesagt?«
»Nichts, was irgendeinen Sinn ergeben hätte. Rodek. Godek. Oder so was Ähnliches.«
Pekkala wurde es plötzlich sehr kalt. »Grodek?«, fragte er.
»Genau«, sagte die Frau. »Und gleich darauf sind die Schüsse gefallen.«
Eine erdrückende Last legte sich auf Pekkala. Mit pochendem Puls fuhr er zum Ipatjew-Haus zurück und traf im Hof auf Anton, der gerade Geschirr zum Abwasch nach draußen trug. Er hatte seinen Uniformrock abgelegt, die Hemdsärmel waren hochgekrempelt, die Hosenträger spannten sich über die Schultern.
Anton betätigte den knarrenden Pumpenschwengel, ein Wasserschwall ergoss sich auf die Pflastersteine. Er setzte sich auf den umgedrehten Eimer neben der Pumpe und begann mit einer alten Scheuerbürste das Geschirr zu schrubben. Anton sah erst auf, als sein Bruder bereits mit wutverzerrtem Gesicht vor ihm aufragte.
»Was ist los?«, fragte Anton.
»Grodek«, stieß Pekkala hervor.
Anton wurde blass. »Was?«
Pekkala packte ihn am Kragen. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass Grodek den Zaren getötet hat?«
Der Teller glitt Anton aus der Hand und zerbrach auf den Pflastersteinen. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Du lässt mich nach einem Mörder suchen, und dabei weißt du die ganze Zeit, wer es war. Es ist mir egal, wie sehr du mich hasst, du bist mir trotzdem eine Erklärung schuldig.«
Nur kurz täuschte Anton den Überraschten vor und sah aus, als wollte er alles abstreiten. Aber im nächsten Moment geriet er ins Wanken. Mit der Erwähnung des Namens stürzte sein ganzes Lügengebäude in sich zusammen, seine erstaunte Miene begann zu bröckeln, und darunter kamen Angst und Resignation zum Vorschein. »Ich habe doch gesagt, wir sollten von hier verschwinden.«
»Das ist keine Antwort!« Pekkala schüttelte seinen Bruder.
Anton wehrte sich nicht. »Es tut mir leid«, murmelte er.
»Es tut dir leid?« Pekkala ließ seinen Bruder los und trat einen Schritt zurück. »Was hast du bloß getan, Anton?«
Müde schüttelte Anton den Kopf. »Ich hätte dich niemals in diese Sache mit hineingezogen, wenn ich gewusst hätte, dass Vater dich zum Finnischen Regiment geschickt hat. Ich habe immer gedacht, es wäre deine Entscheidung gewesen. Jahrelang habe ich dich gehasst für etwas, wofür du gar nichts konntest. Ich wünschte mir, ich könnte noch einmal zurück und alles ändern. Aber das ist nicht möglich.«
»Ich dachte, Grodek wäre im Gefängnis«, sagte Pekkala. »Er wurde doch zu lebenslänglich verurteilt.«
Anton, der immer noch auf dem Eimer saß, stützte die Unterarme auf die Knie und starrte auf die Pflastersteine. Jegliche Kraft schien ihn verlassen zu haben. »Als 1917 in Petrograd die Polizeikaserne gestürmt wurde, verbrannten die Aufständischen sämtliche Aufzeichnungen. Keiner wusste mehr, wer warum im Gefängnis saß, und als daher noch am gleichen Tag das Gefängnis
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