Roter Zar
Augen und brachte ihn an einen geheimen Ort. Als Zubatow ihm die Augenbinde abnahm, stand der Zar persönlich vor ihm.«
»Warum das denn?«, fragte Kirow.
»Zubatow stellte Grodek dem Mann gegenüber, der für ihn zum Sinnbild des Verkommenen geworden war. Jetzt hatte er ihn zum ersten Mal leibhaftig vor sich. Das war der Anfang der gesamten Prozedur. Der Zar erklärte seine Sicht auf die Dinge. Zusammen sahen sie die Geschäftsbücher seines Vaters durch, aus denen klar und deutlich – in der Handschrift seines Vaters – hervorging, wie das Familienvermögen verschleudert worden war. Natürlich hatte Grodek von alldem nichts mitbekommen. Beide waren tief bewegt, als sie sich wieder bewusstmachten, dass sie zur gleichen Familie gehörten.«
»Und ließ sich Grodek davon überzeugen?«
»Ja«, antwortete Pekkala, »worauf Zubatow Grodek seinen Plan erläuterte. Als
agent provocateur
sollte er sich als Leiter einer fingierten Terrorzelle ausgeben. Das alles wäre äußerst gefährlich. Würden die Attentäter Wind davon bekommen, dass Grodek in Wahrheit für die Ochrana arbeitete, wäre es mit ihm auf der Stelle vorbei gewesen. Junge Männer allerdings fühlen sich zur Gefahr hingezogen, und als sich Grodek einverstanden erklärte, die Terroristengruppe anzuführen, glaubte Zubatow, er hätte klug gehandelt. In Wahrheit war es der größte Fehler seines Lebens.«
»Warum?«, fragte Kirow.
»Im darauffolgenden Jahr«, fuhr Pekkala fort, »durchlief Grodek eine Ausbildung durch die Spezialabteilung der Ochrana. Um als Terrorist zu überzeugen, musste er sich auch als solcher verhalten. Man brachte ihm bei, wie man Sprengsätze baut, wie man mit Schusswaffen und Messern umgeht, alles, was man auch mir beigebracht hat. Sobald die Terrorzelle aktiviert war, wurde sie zur Anlaufstelle von gewissen Leuten. Grodek war ein Naturtalent. Er konnte Menschen für sich einnehmen. In den Folgemonaten wuchs die Mitgliederzahl der Zelle ständig, und Grodek übertraf jede von Zubatow erhaltene Vorgabe. Er versäumte kein einziges Treffen mit seinen Kontaktleuten, und die von ihm gelieferten Informationen waren so gut, dass Zubatow von ihm schon als dem zukünftigen Leiter der Ochrana sprach. Zubatow unterlief allerdings eine gravierende Fehleinschätzung. Nachdem er Grodek Beweise vorgelegt hatte, wonach einzig und allein sein Vater für das Unglück der Familie verantwortlich gewesen war, hatte er angenommen, Grodek hätte seinen Hass auf den Zaren damit hinter sich gelassen. Zubatow erkannte nicht, dass Grodek nach den ihm vorgelegten Beweisen lediglich zu dem Schluss kam, sowohl seinem Vater als auch dem Zaren die Schuld zu geben.
Aber auch Grodek hatte einen Fehler gemacht. Er hatte sich in eine der von ihm angeworbenen Frauen verliebt. Sie hieß Maria Balka, war fünfzehn Jahre älter und in mancher Hinsicht noch gefährlicher als er. Sie hatte bereits für mehrere Anarchistengruppen einige Attentate verübt. Grodek hielt diese Beziehung vor Zubatow geheim, und nachdem Zubatow gegenüber Grodek erwähnte, dass Maria Balka sicherlich zum Tod verurteilt werde, wenn sie mit den anderen in Grodeks Gruppe verhaftet wurde, war alles Folgende nahezu unvermeidlich.«
»Was geschah als Nächstes?«, fragte Kirow.
»Zubatow beschloss, die Falle könne nur nach einem Attentatsversuch auf den Zaren zuschnappen. Dadurch würden sich die anschließenden Verhaftungen rechtfertigen lassen. Natürlich wurde Grodek selbst für den geplanten Anschlag bestimmt. Es sollte der Anschein erweckt werden, dass der Zar wirklich getötet worden wäre. Andere Mitglieder der Terrorgruppe würden in der Nähe Posten beziehen, um Zeuge des vorgetäuschten Mordes zu werden. Die Attentäter würden sich daraufhin in einem Versteck treffen, wo sie von Ochrana-Agenten verhaftet würden.
Der Anschlag sollte auf dem Gelände des Sommerpalastes erfolgen, während der Zar dort seinen Abendspaziergang unternahm. Zubatow sorgte dafür, dass der Zar immer die gleiche Strecke nahm, damit die Terroristen davon ausgehen konnten, ihren Anschlag erfolgreich auszuführen. Als Ort für das Attentat war der Weg vorgesehen, der am Lamski-Teich und dem Tor im Zaun vorbeiführte, der den Palast und den Park umgab. Es war eine relativ enge Stelle, an der der Zar völlig ungeschützt wäre. Würde Grodek durch das Tor feuern, wäre er nur wenige Schritte vom Zaren entfernt.
»Aber war es nicht verdächtig, wenn der Zar allein spazieren ging?«
»Überhaupt nicht«,
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